Sehnsucht FC Bayern
kleinen, ganz privaten »Schwur« von 1983 eingelöst hatte: mir für jedes Bayern-Spiel Eintrittskarte, Anreise und Hotelübernachtung leisten zu können. Oder um mal ein abgewandeltes Bonmot von Mehmet Scholl zu gebrauchen: »24 Jahre alt und schon keine Ziele mehr im Leben.«
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
1992/93
B AZI IS BORN
Das Ende der Berufsausbildung ist naturgemäß mit großen Veränderungen verbunden. Selbst wenn man nicht den Arbeitgeber wechselt, entstehen mit dem deutlich gestiegenen Gehalt Konsumwünsche, die endlich auch im Bereich des Machbaren liegen. In meinem Fall war das ab Oktober ’92 eine eigene Adresse, also die erste eigene Wohnung. Eine kleine Werkswohnung, 15 Minuten Fußweg vom Arbeitsplatz entfernt, bedeutete für mich persönlich einen gewaltigen Schritt. Zwar hatte ich im elterlichen Haus unter dem Dach mit Telefon, Bad und Kühlschrank auch schon recht autark gelebt, aber eine eigene Wohnung war dann doch etwas ganz anderes. Der Umstand, dass nicht mehr plötzlich jemand einfach so im Türrahmen stehen konnte, sich keine Essensvorräte mehr von alleine auffüllten und die Wäsche nicht von selbst wieder aprilfrisch roch, erforderte ein Umdenken bei den eigenen Gewohnheiten. Der Spaß an einer gewissen Anarchie im Alltag wich mit der Zeit den spießigen, aber leider notwendigen Verpflichtungen. Mit dem Kauf neuer Socken und Unterhosen ist es irgendwann nicht mehr getan. Irgendwann müssen auch mal die alten gewaschen werden. Bis zu dieser simplen Erkenntnis wuchs allerdings mein Gesamtbestand. Dabei hatte ich insbesondere an einer verschweißten Siebener-Vorratspackung mit dem bezeichnenden Titel »Change Daily« großen Gefallen gefunden.
Die Wohnung entwickelte sich nebenbei zum Treffpunkt und Büro unseres Fanclubs. Mit all den Utensilien, die zur Organisation von Auswärtsfahrten und zur Verwaltung eines Haufens von fast 80 Mitgliedern notwendig war, glich die Zwei-Zimmer-Wohnung optisch bisweilen einem Hochwasser-Lagezentrum. Ein herrlich kreatives Chaos, das wohl auch zum endgültigen Bruch mit Jeanette beitrug.
In der Sommerpause, zwei Tage nach dem verlorenen Endspiel der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft gegen Dänemark in Schweden, bot ein Spiel um die Deutsche A-Jugend-Meisterschaft zwischen dem 1. FC Köln und dem FC Bayern unverhofften Fußballgenuss. Mit ein paar Freunden fuhr ich am Sonntagmorgen zum Franz-Kremer-Stadion auf dem Trainingsgelände des 1. FC Köln im Stadtteil Klettenberg. Normalerweise kein Spiel für Chronisten. Auch wegen der 2:1-Niederlage des Bayern-Nachwuchses hätte ich die Partie wohl längst vergessen, wenn nicht im Sturm der Kölner ein kahlköpfiger Hüne auf sich aufmerksam gemacht hätte. Sein Name: Carsten Jancker. Vier Jahre später war er Profi und Stammspieler beim FC Bayern. 16 Jahre nach diesem Spiel traf ich ihn als Interviewpartner. Es ist interessant, eine solche Karriere mitzuverfolgen.
Die Saison begann für mich gleich mit einem kleinen Jubiläum. Das Auswärtsspiel bei Bayer Uerdingen bedeutete mein 100. Bayern-Spiel. Große, innere Zufriedenheit machte sich bei mir breit. Ich befand mich auf dem richtigen Weg.
Ein Novum in dieser Saison war, innerhalb von zwei Wochen zweimal ins Westfalenstadion fahren zu müssen. Dem Aus in meinem ersten Elfmeterschießen, zum Einzug in die 3. Runde des DFB-Pokals, folgte ein knapper Sieg in der Bundesliga. Umgekehrt wäre es mir lieber gewesen. Das gilt auch heute noch. Jedes Pokalspiel, sei es im DFB-Pokal oder im Europacup, hat für mich einen größeren Reiz als ein Ligaspiel. Die Hier-und-Jetzt-Situation nimmt mich allemal mehr mit als ein Punktverlust, den ich in den nachfolgenden Spieltagen wieder wettmachen kann. Merkwürdigerweise teilen nicht alle Fans meine Meinung, wie die vergleichweise geringen Zuschauerzahlen auch bei DFB-Pokal-Heimspielen des FC Bayern zeigen.
Ein halbes Jahr nach Ende der Ausbildung, die Wohnung war gerade frisch bezogen, begann ich, nebenher zu meinem Beruf, ein Studium zum Versicherungs-Fachwirt. Ich hatte die Wahl: entweder Vorlesungen am Samstag oder zwei- bis dreimal in der Woche werktags am Abend. Mit Rücksicht auf den Bundesliga-Spielplan stellte sich die Frage für mich jedoch erst gar nicht. Mit meinem Beruf war das Studium zeitlich durchaus in Einklang zu bringen. Meine größere Sorge galt, man ahnt es bereits, unglücklichen Spielansetzungen bei englischen Wochen oder
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