Sehnsucht FC Bayern
Mein Bericht mitsamt meinen Fotos füllte später, verteilt auf zwei Ausgaben, zehn Seiten im Bayern-Magazin. Der Stress hatte sich mehr als gelohnt.
Nach diesem Erfolgserlebnis ging es auch privat wieder aufwärts. Offenbar hängen solche Dinge im Leben manchmal zusammen. Wenige Wochen später war ich nicht mehr Single. Stefanie brauchte ich zwar nicht mit Salz- und Pfefferstreuern die Viererkette erklären, wie ich es mal bei meiner Mutter versucht hatte, aber natürlich war auch in meiner neuen Beziehung Bayern München zunächst einmal Gesprächsthema: Wie konnten wir unsere gemeinsame Freizeit terminlich mit den Spielplänen des DFB und der UEFA abstimmen? Da galt es, Überzeugungsarbeit zu leisten. Wie sagte Adi Preißler: »Grau is alle Theorie, maßgebend is auffem Platz.« So lud ich Stefanie kurzerhand zum Auswärtsspiel nach Nürnberg ein, wo Ottmar Hitzfeld sein verheißungsvolles Comeback auf der Bayern-Bank gab. Sportlich wurde der Abend ein Flop. Der Mannschaft gelang fast gar nichts, sie verlor glatt mit 0:3. Mein Missionswerk »Verstehe deinen Partner als Fan« war hingegen erfolgreich. Glück gehabt!
Eine Dienstreise nach Köln nutzte ich für einen verlängerten Aufenthalt bei meinen Eltern und Freunden. Auch der Spielplan der Verbandsliga Mittelrhein meinte es an diesem Freitag ausnahmsweise gut mit mir und bescherte mir nach Jahren endlich wieder mal ein Heimspiel von Fortuna Köln. Mittlerweile war der Verein bis in die 6. Liga durchgereicht worden. Kein Vergleich zu den fast 25 Jahren Zweitliga-Spitzenfußball, die den SC Fortuna bis heute auf Platz eins der »Ewigen Zweitliga-Tabelle« halten. Trotzig packte ich meinen Fortuna-Schal mit ins Reisegepäck und wurde Zeuge einer drastisch veränderten Realität. Im Kölner Südstadion, wo ich Spiele gegen Bielefeld, Nürnberg, Frankfurt oder Hannover gesehen hatte, wurde nur noch die Haupttribüne geöffnet. Ein trostloses Bild in einem Stadion mit 15.000 Plätzen. Was war bloß aus diesem Verein geworden, der einst in der 1. Bundesliga gespielt und im Endspiel um den DFB-Pokal gestanden hatte und Borussia Dortmund fast in die 2. Liga geschickt hätte? Es zeigte sich die Abhängigkeit von Mäzen Jean Löring, der in all den Jahren über 15 Millionen Euro in »seinen« Verein gesteckt hatte und nicht zuletzt deshalb völlig mittellos gestorben war. Eine traurige Geschichte. An diesem Abend hieß der Gegner SC Berrenrath. Dass ich hier einst auch Spiele gegen Union Solingen oder den VfB Leipzig verfolgte, verdeutlicht die Vergänglichkeit so manchen Ruhms auch andernorts.
Der letzte Spieltag der Saison war sportlich ausnahmsweise unbedeutend. Der FC Bayern war auf Platz 4 der Tabelle festzementiert und nahm damit jenen Platz ein, auf dem ihn Ottmar Hitzfeld nach dem 19. Spieltag übernommen hatte. Dennoch bedeutete das Spiel eine Zäsur für mich. Zum einen wegen Mehmet Scholl, der an diesem Tag sein letztes Pflichtspiel absolvierte und dabei – als sei es inszeniert – auch ein Tor schoss. Der vielleicht beliebteste Bayern-Spieler der letzten 30 Jahre beendete seine Karriere. Wer, und das gilt auch für Fans anderer Mannschaften, mochte Mehmet Scholl eigentlich nicht?
Passend zu meiner ohnehin schon wehmütigen Grundstimmung an diesem Nachmittag gab es auch noch den Abschied von Bernd Dreher. 13 Bundesligaspiele in elf Jahren und dabei siebenmal Deutscher Meister geworden. Eine absurde Karriere! Bei den Bayern-Fans galt er auch deshalb und wegen seines trockenen Humors als Kultfigur. Auf eine ursprünglich spöttisch-liebevoll gemeinte Nonsens-Aufforderung aus einigen Hundert Kehlen des Bayern-Blocks: »Dreher – dreh dich mal!«, reagierte er, ohne die Miene zu verziehen, stets mit einer Drehung um die eigene Achse – wohlgemerkt während des Spiels! Nach Sonderapplaus und der anschließenden Aufforderung: »Handstand – Überschlag!«, zeigte er stets genau diesem Fanblock den Vogel. Ein jahrelanges Ritual und eine der originellsten Interaktionen zwischen Spieler und Fans überhaupt.
Auch er hatte an diesem Nachmittag sein letztes Spiel, und mit ihm trat der letzte Bayern-Profi ab, der älter war als ich. Über die Jahre hinweg bemerkte ich an mir selbst eine veränderte Haltung gegenüber den Spielern. Aus ehemaligen Idolen wurden mit der Zeit junge Burschen, die ich schon altersmäßig zunächst immer neutraler, später zunehmend kritischer beurteilte. Dieses distanzierte Verhältnis beruht auf Gegenseitigkeit. Ich wurde immer älter,
Weitere Kostenlose Bücher