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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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ich.«
    »Herr! Herr!« Johann Mohrmann hetzte die Auffahrt hinauf mit rudernden Armen und schrie dabei.
    Wolfgang riss das Fenster auf. »Was ist los, Johann? Warum schreist du so?«
    »Mein Vater!«, brüllte Johann. »Russische Soldatenmilizen sind gekommen, haben die Haustür eingetreten und Vater verprügelt. Jetzt sind sie auf dem Weg hierher.«
    »Komm rein!« Wolfgang von Zehlendorf hastete ins Vestibül.
    Malu folgte ihm. »Wie geht es deinem Vater?«
    Johann schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Er hat mir befohlen, hierher zu laufen.«
    Wolfgang von Zehlendorf runzelte die Stirn. Schließlich deutete er auf Malu und Johann. »Schnell, nehmt euch jeder ein Gewehr. Wir müssen zum Pfarrhaus. Ilme wird den Knechten Bescheid sagen, sie sollen uns zu Hilfe kommen.« Er hielt kurz inne. »Am besten nur den Knechten, die evangelisch sind wie wir, denn ihnen können wir wahrscheinlich noch am ehesten vertrauen. Kann gut sein, dass die orthodoxen Priester die einfachen Leute angestachelt haben, so wie es in St. Petersburg geschehen ist.«
    Dann stürmte er voran in sein Arbeitszimmer. Bevor er das Haus verließ, gab er Ilme noch rasch ein paar Anweisungen, und wenig später waren er, Malu und Johann beim Pfarrhaus angelangt. Schon von Weitem hatten sie die Zerstörungen gesehen. Der kleine Jägerzaun lag zerbrochen am Boden, Frau Mohrmanns Gemüsebeete waren zertrampelt, die Scheiben des Gewächshauses eingeworfen. Der Holzstapel neben der Haustür war niedergerissen, und die Scheite lagen wie Wurfgeschosse über das ganze Grundstück verteilt. In der Haustür, die nur noch lose in den Angeln hing, steckte ein Beil.
    Malu stockte der Atem. Furcht kroch in ihr hoch. Noch nie hatte sie solche Verwüstungen gesehen. Erst jetzt wurde ihr klar, dass ihr Heim nicht vor den Unruhen gefeit war.
    Wolfgang von Zehlendorfs Gesicht war bleich geworden. Malu meinte, ihn mit den Zähnen knirschen zu hören.
    »Vater!« Johann stieß die lose Tür zur Seite und stürzte auf Pfarrer Mohrmann zu, der im Flur auf dem Boden lag. Blut lief über sein Gesicht, beide Augen waren zugeschwollen, die Oberlippe eingerissen. Er hielt sich den Kopf und stöhnte.
    »Vater! Was tut dir weh?« Johanns Stimme klang schrill.
    Wolfgang von Zehlendorfs Gesicht war wie von einer dunklen Wolke überzogen. »Lauf ins Gutshaus zurück, Malu!«, befahl er mit strenger Stimme. »Ruf Dr. Matthus an. Er soll herkommen, aber schnell.«
    Malu nickte und eilte zurück. Im Weglaufen hörte sie noch, wie Pfarrer Mohrmann röchelte: »Meine Frau und Constanze. Sie sind im Keller.«
    Wie von Teufeln gejagt hetzte Malu ins Gutshaus. Sie erledigte den Anruf, schnappte sich das Laudanumfläschchen ihrer Mutter und räumte die Hausapotheke aus, ohne groß zu schauen, was sie da zusammenpackte. Dann rannte sie zurück zum Pfarrhaus. Ihre Seiten schmerzten, und ihr Atem ging pfeifend, als sie endlich wieder bei Mohrmanns war. Der Pfarrer lag noch immer auf dem Boden, hatte jetzt aber ein Kissen unter dem Kopf und war mit einem großen Schaffell bedeckt. Johann kniete neben ihm und tupfte ihm die Wunden im Gesicht sauber. Jedes Mal, wenn er dabei den Arm seines Vaters streifte, schrie der Verwundete auf.
    Malu reichte ihm die mitgebrachten Sachen. »Wo sind die anderen?«
    Johann sah kaum auf. »In der Küche. Ihnen fehlt nichts.«
    Malu eilte in die Küche, wo sie Frau Mohrmann und Constanze fand. Sie waren über und über mit Staub und Erde bedeckt. Spinnweben hingen ihnen im Haar und im Gesicht, und über Constanzes Wange zog sich eine blutige Schramme.
    »Geht es dir gut?« Malu stürzte auf die Freundin zu und nahm sie in die Arme. »Fehlt dir etwas? Bist du verletzt?«
    Constanze schüttelte den Kopf. »Mutter und ich waren im Keller. Wir haben uns in der Kartoffelmiete versteckt. Geschehen ist uns nichts. Nur dreckig sind wir geworden.«
    »Gott sei Dank!« Malu ließ Constanze los und wandte sich an Frau Mohrmann. »Und Sie? Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Kann ich irgendwie helfen?«
    Frau Mohrmann fuhr Malu flüchtig über das Haar. »Alles ist gut, Kind. Mach dir keine Sorgen. Constanze hat recht; wir sind nur schmutzig. Wenn du etwas tun möchtest, heiz den Samowar an. Ich glaube, einen Tee können wir jetzt alle gut gebrauchen. Auch Dr. Matthus.«
    Malu tat, wie ihr geheißen. Aus dem Küchenfenster sah sie ihren Vater, der mit dem Gewehr über der Schulter vor dem Pfarrhaus auf- und abschritt wie die Palastwache des Zaren. Nach einer Weile sah sie von

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