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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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wohl wissend, dass es ihn nicht gab.
    Jetzt stand sie am Fenster – die Eltern schliefen schon nebenan in der Kammer – und sah zu den beiden jungen Männern. Trotz besseren Wissens hoffte sie, dass sich etwas in ihrem Leben ändern würde. Sie bemerkte Janis’ Wut und Rupperts Überheblichkeit. Sie ahnte, dass das, was die beiden dort besprachen, keine anständige Sache war, und doch hoffte sie mit der Naivität eines kleinen Mädchens, dass sich für sie irgendetwas ändern und zum Besseren wenden könnte.
    Dann sah sie, dass die beiden Männer sich trennten. Janis ging mit langen, energischen Schritten auf sein winziges Haus zu, den Kopf gesenkt, die Schultern geduckt, als trüge er eine schwere Last. Constanze rannte hinaus und stellte sich ihm in den Weg, noch bevor er sein Heim erreicht hatte. »Was ist?«, fragte sie. »Was hast du mit ihm besprochen?«
    Janis schüttelte den Kopf, holte eine Papirossa aus der Hosentasche und zündete sie an. »Komm mit zu mir. Ich brauche einen Wodka. Dann erzähle ich dir alles.«
    Schweigend liefen sie durch die Nacht. Constanze fror in ihrem dünnen Nachthemd und dem Umschlagtuch.
    Im Haus gab Janis ihr eine Decke. »Hier, nimm!«
    »Danke! Und nun erzähl!« Constanze setzte sich auf die Küchenbank, die Wangen rot, die Nase blass, mit aufgeregten Augen und wirrem Haar.
    Sie ist doch noch ein kleines Mädchen, dachte Janis und hätte sie am liebsten in den Arm genommen. Doch seit der Krieg vorbei war, hatte er niemanden mehr in den Arm nehmen können. Aber die Sehnsucht danach brannte jeden Tag stärker in ihm, brannte ihn beinahe aus.
    Für Constanze und sich füllte er zwei Wassergläser mit Wodka, trank seines in einem Zuge aus und setzte sich dann ihr gegenüber. Ich bin ein schlechter Bruder, fuhr ihm durch den Kopf. Ich müsste sie beschützen, doch ich vermag es nicht.
    »Ruppert wird mir für kurze Zeit Zehlendorf überlassen, um der Enteignung zu entgehen«, sagte er leise.
    Constanze riss die Augen auf. »Wie hat er es fertiggebracht, dich dazu zu überreden?«
    »Er gibt mir dafür ein Darlehnen, mit dem ich Männertreu bezahlen kann. Und …« Er betrachtete die Schwester und schluckte. Er wusste genau, dass eine Heirat mit Ruppert sie ins Unglück stürzen würde. Aber ebenso gut wusste er, dass dies genau das war, was Constanze sich wünschte. Sie war erwachsen, beinahe dreißig Jahre alt. Er konnte sie nicht ewig beschützen und vor der Welt behüten. Sie musste endlich erwachsen werden und eigene Entscheidungen treffen, auch wenn es zunächst die falschen waren.
    »Und?«, hakte sie ungeduldig nach.
    »Er wird dich danach heiraten. Natürlich nur, wenn du das wirklich möchtest.«
    Constanze riss den Mund auf, aber die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Es dauerte eine kleine Weile, ehe sie ein paar Worte herauspressen konnte. »Wirklich? Ist das wahr?«
    Janis nickte stumm und drehte das leere Wodkaglas in seinen Händen. »Willst du ihn?«, fragte er, ohne sie dabei anzuschauen.
    »Aber ja! Natürlich will ich ihn. Ich habe nie etwas anderes gewollt.«
    »Gut!« Janis schlug mit der flachen Hand leicht auf den Tisch. »Gut. Wenn es das ist, was du wirklich willst, dann soll es so sein.«
    Ein paar Wochen später kamen die Männer, die das Parlament geschickt hatte. Ungläubig sahen sie auf die Kaufurkunde, die Janis ihnen vorwies. Sie durchsuchten das Herrenhaus, beschlagnahmten einige Sachen von geringem Wert, durchsuchten auch das winzige Haus Männertreu, doch am Ende mussten sie unverrichteter Dinge abziehen.
    Männertreu gehörte nun Janis Mohrmann. Er hatte es schriftlich, mit Brief und Siegel. Der Schuldschein lag in der Schublade. Und Janis wusste genau, dass er nicht glücklich sein würde, solange das Darlehen nicht abbezahlt war. Daher schuftete er, so hart er nur konnte. Morgends stand er mit den ersten Dämmerstrahlen auf und ging erst zu Bett, wenn der Mond an seiner höchsten Stelle stand. Er spannte sich selbst vor den Pflug, um die Kühe zu schonen. Er verkaufte alles, was er entbehren konnte, um Saatgut zu erwerben. Er quälte sich bis zur totalen Erschöpfung, aber er wusste, warum er das tat. Für Malu.
    Constanze aber stand die meiste Zeit des Tages am Fenster und blickte hinüber zum Herrenhaus, als wartete sie darauf, dass Ruppert mit einem weißen Pferd und einer Rose zwischen den Lippen geritten kam, um sie zu holen. Doch das tat er nicht. Im Gegenteil. Oft sah sie die erleuchteten Fenster des kleinen Saals und wusste,

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