Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
in den Taschen geballt. »Halt’s Maul, Ruppert!«, stieß er hervor. »Halt um Gottes willen dein verdammtes Maul, oder ich haue dir eine rein.«
Ruppert spürte, dass Janis es ernst meinte, und hörte augenblicklich mit dem Lachen auf. »Du bekommst das Darlehen. Zinslos. Dann gibst du mir Zehlendorf zurück. Gehört das Gut wieder mir, heirate ich Constanze. So und nicht anders wird es laufen.« Sein Blick war jetzt alles andere als amüsiert. Die Worte klangen dunkel, beinahe wie eine Drohung.
Eine Weile starrte Janis ins Leere, dann streckte er Ruppert die Hand hin. »Einverstanden. Du hilfst mir, meine Existenz zu sichern, und ich helfe dir, deine zu erhalten.«
Nach dem Handschlag drehte er sich um und marschierte auf sein Haus zu.
Ruppert aber rief ihm nach: »Ihr habt nichts begriffen! Gar nichts. Nicht einmal der Krieg konnte Ordnung in euren Köpfen schaffen! Und deiner Schwester richte aus, sie soll nachher zu mir kommen. Ich will sie schon gleich an die Ehe mit mir gewöhnen.«
Elftes Kapitel
Baltikum, 1919
C onstanze hatte die ganze Zeit im Pfarrhaus am Fenster gestanden. Das Gebäude befand sich direkt neben der kleinen Kirche, die genau auf der Grenze zwischen den Gütern Zehlendorf und Männertreu stand. Daher konnte Constanze recht gut sehen, wie sich Janis und Ruppert am Grenzzaun miteinander unterhielten. Es war zwar Nacht, doch ein blasser Mond und zahlreiche Sterne sandten vom wolkenlosen Himmel ein mattes Licht auf die Erde. Leider konnte Constanze nicht hören, was die beiden Männer sprachen.
Seit der Krieg zu Ende war, fühlte sie sich so nutzlos wie ein altes Weib. Ihr war, als lägen die schönsten Jahre schon hinter ihr und der Rest würde nur Duldung und Kummer sein. Sie war erst neunundzwanzig Jahre alt und schon verwitwet. Sie dachte wenig an den Toten und vermisste ihn eigentlich nie, denn bei ihrer Heirat hatten sie sich ja kaum gekannt. Nicht einmal zusammen gewohnt hatten sie, zählte man die wenigen Wochen nicht mit, die Nikolai vor seiner Einberufung im Mohrmannschen Pfarrhaus gelebt hatte. Doch als der Brief gekommen war, darin die Todesnachricht und die Marke, da hatte Constanze doch geweint.
Ihre Aussichten auf eine erneute Heirat standen noch schlechter als vor dem Krieg. Es gab zu wenige Männer und zu viele Tote auf den Schlachtfeldern Europas. Und diejenigen, die nach Hause gekommen waren, trugen schlimme Verletzungen mit sich herum. Verletzungen, die man nicht sehen konnte, die aber umso tiefer in der Seele bluteten. Keiner von denen würde eine verarmte Witwe zum Altar führen.
Constanze seufzte. Sie wünschte sich Kinder, wünschte sich so sehr ein Leben wie das ihrer Mutter. Sie wollte nicht viel. Wirklich nicht. Nur einen Mann, der sie liebte oder wenigstens achtete, und ein paar Kinder. Sie brauchte keinen Reichtum, keine schönen Kleider, nur immer genügend Brot auf dem Tisch und ein Dach über dem Kopf. Ein eigenes Dach, ein eigener Herd.
Und dann war da noch Ruppert. Sie kannten sich schon so lange, aber Constanze wusste noch immer nicht, ob sie ihn überhaupt mochte. Eigentlich gab es nichts, was man an Ruppert mögen konnte. Er war gemein, herzlos, rücksichtslos, egoistisch und manchmal sogar ein wenig brutal. Und doch brannten ihre Wangen, sobald er nach ihr schickte. Sie wollte nicht, wollte wirklich nicht zu ihm gehen, doch plötzlich fand sie sich vor dem Spiegel wieder, sah sich das Haar bürsten und den Hals parfümieren. Kurz darauf eilte sie schon über den schmalen Wiesenpfad, der direkt zum Herrenhaus führte. Und wenig später lag sie in seinen Armen und ließ sich von ihm lieben. Doch kaum waren die Laken kalt, schickte er sie weg. Deutlich ließ er sie merken, wie sie ihn anödete. Nur im Bett war es anders. Da war er manchmal sogar zärtlich, wurde wieder zum Kind. Er saugte an ihren Brüsten, nannte sie mit Kosenamen, legte den Kopf in ihren Schoß, ließ sich von ihr streicheln, verzärteln und herzen. Doch sobald seine körperlichen Bedürfnisse befriedigt waren, stieß er sie weg. Und Constanze erhob sich, frierend in der kalten Luft, kroch in ihre Kleider und schleppte sich zurück ins Pfarrhaus, fest entschlossen, nie wieder auf Rupperts Ruf zu hören. Zwei Tage später ging sie wieder zu ihm. Alles wiederholte sich. Ein Kreislauf, aus dem sie nicht ausbrechen konnte. Sie wollte weg, und sie wollte bleiben. Sie wollte stark sein und zugleich schwach. Und sie sehnte sich so nach jemandem, der sie aus diesem Kreislauf erlöste,
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