Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Hochzeit. Eine Mitgift. Die Höhe hat unser Vater selbst festgelegt. Aber nur, wenn du einen Mann von Stand heiratest. Und ob der Mann passt oder nicht, das entscheide ich jetzt.«
Malu wusste genau, worauf er anspielte. Auf Janis. Aber Janis, ja, das war ein ganz anderes Problem. Im Augenblick stand ihnen beiden nicht der Sinn nach einer Hochzeit. Und niemand wusste das besser als Ruppert. Ganz davon abgesehen, dass er Janis niemals als einen Mann von Stand ansehen würde. Dazu fehlte Janis nicht nur das »von« in seinem Namen. Ruppert hasste Janis, auch wenn er halbherzig versuchte, es zu verbergen. Niemand wusste das besser als Malu selbst. Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Wenn du nicht heiratest, dann musst du selbst sehen, wie du klarkommst.«
Er wandte sich ihr zu, und Malu konnte ein hämisches Grinsen auf seinem Gesicht entdecken. Er trat einen Schritt auf sie zu, so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. »Du hast ja noch das Geld von der alten Camilla.«
Malu wich zurück und schluckte. Erneut schüttelte sie den Kopf. »Du weißt genau, dass ich das Geld niemals anrühren würde«, erwiderte sie verletzt und sah zu Boden.
Ruppert lachte auf, es klang wie das Wiehern eines Pferdes. »Mein Gott, wie sentimental du doch bist. Die Alte ist lange tot. Und sie wird auch nicht wieder lebendig, wenn du das Geld nicht anrührst. Alte Geschichten soll man ruhen lassen.«
Er wirkte so unbekümmert und selbstgerecht, dass eine Welle der Übelkeit in Malu emporstieg. Sie erinnerte sich an die letzten Worte ihres Vaters. Camilla. Der Katapult. Du warst es nicht.
Sie hatte diese Worte vergessen wollen. Nicht Rupperts wegen, sondern weil sie nicht damit leben konnte, von ihrer Mutter für nichts und wieder nichts verstoßen worden zu sein. Ihr Leben lang hatte sie gelitten unter einer Schuld, die beinahe zu schwer für sie gewesen war. Sie hatte sich selbst jahrelang für eine Mörderin gehalten. Und dann hatte sie erfahren müssen, dass nicht nur die Mutter, sondern auch – was noch viel mehr schmerzte – der geliebte Vater sie verraten hatte. Und Ruppert natürlich ebenfalls, doch das war nicht anders zu erwarten gewesen.
»Du warst es!«, stieß sie plötzlich hervor. Ihr Gesicht war ganz weiß, und sie bemerkte noch nicht einmal, dass sie ihre Hände zu Fäusten geballt hatte. »Du warst es! Du hast damals mit dem Katapult auf die Pferde geschossen, damit Camilla stürzt.«
Ruppert zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon? Sie war alt. Sie wäre sowieso bald gestorben. Vermutlich habe ich ihr einen Gefallen getan. Du kannst das Geld also ohne Gewissensbisse nehmen. Geh weg von hier und lass es dir wohlergehen.« Er steckte die Zigarettenschachtel in die Tasche, schlug ihr leicht auf die Schulter und ging zurück ins Haus.
Malu war außer sich. Ruppert war sich stets bewusst gewesen, dass er die Tat begangen hatte. Er hatte sie jahrelang leiden sehen und nichts dagegen getan! Und der Vater! Was für ein Feigling er doch gewesen war! Warum, o Gott, warum nur hatte er sich nie gegen ihre Mutter gewehrt? Warum hatte er sie, seine Tochter, nicht stärker beschützt?
Malu schüttelte sich, immer wieder, als könnte sie alles Schlechte abschütteln. Doch die Feigheit des Vaters, die Hinterhältigkeit des Bruders und die Feindschaft der Mutter klebten an ihr wie Pech.
Malu drehte sich zum Haus um, hob die geballte Faust und schüttelte sie. »Ich bleibe nicht! Nicht hier und nicht bei euch!«, schrie sie.
Dann brach sie in Tränen aus. Sie konnte sich nicht länger auf den Beinen halten, sank in das Rosenbeet und weinte allen Kummer, alle Ängste und alle vermeintliche Schuld aus sich heraus. Es dauerte lange, bis sie sich beruhigt hatte. Irgendwann erhob sie sich, wischte sich die Erde vom Gesicht und streifte den Dreck von den Kleidern. Noch immer fühlte sie sich betrogen und verlassen, hintergangen und vor allem ungeliebt. Doch der Druck, der seit ihrer Kindheit auf ihr gelastet hatte, war weg. Und ihr Entschluss, von hier wegzugehen, stand fest.
Sie wischte sich mit den Fäusten die Tränenspuren aus dem Gesicht und eilte zu Janis’ Hof.
Im Arbeitszimmer brannte noch Licht. Sie klopfte von außen an den Laden, Sekunden später hörte sie seine Schritte.
»Ist etwas passiert?«, fragte Janis. Er stand vor ihr mit eingefallenen, hohlen Wangen, tiefen Schatten unter den Augen und schmalen Lippen. An der Arbeitsbluse fehlte ein Knopf, die Hosen hatte er mit einem Kälberstrick um die
Weitere Kostenlose Bücher