Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Deutschnationalen werden das Rennen machen. Nicht gleich. In ein paar Jahren erst. Die Zeit ist reif für einen Führer wie Adolf Hitler. Na ja, alles gefällt mir auch nicht an dem Kerl. Er ist ein wenig großspurig. Und die Verbrüderung mit den Armen will mir nicht recht schmecken, doch der Mann ist klug. Er weiß, dass er Stimmen braucht. Nun, dazu werden die Armen und Versehrten wohl noch taugen.« Er tippte die Asche seiner Zigarre blind in den Aschenbecher.
Constanze lag immer noch teilnahmslos und zusammengekrümmt wie ein Säugling auf dem Bett. Sie rührte sich nicht. Alles in ihr kam ihr wie abgestorben vor. Warum war sie nur wieder auf Ruppert hereingefallen? Sie hatte gewusst, dass er sie nicht liebte. Aber sie konnte nicht aufhören zu glauben, dass er es eines Tages täte.
Er ist nicht wirklich schlecht, dachte sie. Er ist, wie er ist, weil er in einem Frauenhaushalt aufgewachsen ist, mit einem Vater, der sich niemals gegenüber der Mutter durchgesetzt hat. Er ist immer geliebt worden, und jetzt muss er noch lernen, wie man liebt.
Constanze wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie hatte Geduld. Sie würde es ihm beibringen. Ihre Mutter hatte gesagt, dass es nichts gab, was ein Mann nicht von einer Frau lernen konnte. Den Zusatz der Mutter – seinen Willen vorausgesetzt – überging Constanze. Jetzt lag sie einfach nur da und versuchte, sich die Geschehnisse der letzten Stunden schönzureden.
»Es ist schon spät«, sagte Ruppert unvermittelt. »Ich muss los. Ein wichtiges Geschäftstreffen. Du kommst allein zurecht?«
Constanze nickte.
»Wo seid ihr heute Abend alle? Vielleicht, wenn ich nichts Besseres vorhabe, komme ich dazu.«
»Im Gefallenen Engel«, antwortete Constanze leise.
»Mein Gott, ich möchte wissen, was euch an dieser Spelunke nur so gut gefällt.«
»Lothar möchte hin. Es gibt heute Abend ein Männerballett.« Ruppert schüttelte den Kopf. »Ein Mann von seinem Stand sollte seine Triebe besser im Griff haben, meinst du nicht auch?«
Der Gefallene Engel war wie so oft rappelvoll, doch Isabel von Ruhlow hatte einen guten Draht zum Geschäftsführer des Etablissements, und so saßen sie alle an zwei zusammengestellten Tischen in der Nähe der Bühne. Außer Lothar, Isabel, Anita und Constanze waren noch der schlesische Fabrikant dabei, ein junger Mann, den Lothar aus dem Studium kannte, dazu eine junge Witwe, die ihren Mann im Krieg verloren und dabei ein großes Vermögen geerbt hatte, sowie eine Bekannte von Isabel, die sich als Schauspielerin bei der UFA versuchte.
»Was ist los mit dir?«, fragte Isabel, als sie Constanzes betrübte Miene sah. »Du siehst aus, als hättest du Liebeskummer.«
Ihre Freundin Anita lachte, als wäre dies ein Scherz.
»Es ist nichts«, erwiderte Constanze. »Wirklich nicht. In den letzten Tagen hat mich wohl der Weltschmerz gepackt. Kennst du das Gefühl nicht?«
Isabel schüttelte den Kopf, sodass der Federschmuck, den sie im Haar trug, leise hin- und herwippte.
»Weltschmerz«, wiederholte sie. »Oh, unverdorbene Jugend, die noch so tief empfinden kann.«
Anita kicherte erneut, doch Lothars Freund nickte ernsthaft. »Ich weiß genau, was Sie meinen. Es ist, als ob die Welt ohne Bedauern weiterleben würde, während man selbst der Welt so gleichgültig ist.«
Constanze nickte. »Genau. Sie scheinen zu wissen, was ich empfinde.«
Isabel aber lachte. »Sind Sie ein verkrachter Poet? Sie müssen einer sein. Zu so tiefen Empfindungen sind die Männer heutzutage nicht mehr fähig. Der Krieg hat die Gefühle in ihnen abgetötet. Deshalb liebe ich Frauen.«
»Ich war nicht im Krieg«, gab der junge Mann verlegen zu.
»Andreas hatte Tuberkulose«, erklärte Lothar von Hohenhorst. »Er hat die Kriegsjahre in einer Klinik in Davos verbracht. Die ganze Zeit hat er mit der Angst gelebt, bald sterben zu müssen.«
Isabel nickte. »Daher der Weltschmerz, daher die Dichterseele.« Sie hob ihr Glas. »Lasst uns anstoßen. Auf das Leben. Auf die Liebe und auch alle anderen Dinge, die uns Freude bereiten.«
Zögernd erhob Constanze ihr Glas und ließ es klingen. Ihr war mit einem Mal ein wenig übel. Sie hatte seit dem Morgen nichts gegessen. Und doch wusste sie, dass es nicht nur der Hunger war, der ihre Stimmung trübte und ihren Körper schwächte. Es waren der Lärm und das Licht, der Geruch nach Tabak, Schweiß und Parfüm, der saure Nachgeschmack des Champagners und die leeren Worte oberflächlicher Menschen.
Sie hob eine Hand und legte
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