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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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sollte. Es war aus bedrucktem Brokatstoff und mit einem kleinen Pelzkragen versehen. Dann dachte sie sich eine dazu passende Kappe aus, die eng am Kopf anlag, aber so winzig war, dass die Frisuren der Frauen zur Geltung kamen. Dieses Kleid, dachte Malu, war geeignet für eine einfache Abendgesellschaft oder einen Nachmittagstee. Um es aber auch für eine größere Gesellschaft oder einen Opernbesuch präsentabel zu machen, entwarf Malu einen Mantel aus dunkelblauer Seide, der mit Sternbildern bestickt war.
    Sie schnitt die Stoffe zu, heftete sie und drapierte sie um die Schneiderpuppe, doch es gelang ihr einfach nicht, sich eine Frau darin vorzustellen.
    Da Constanze gerade da war, ging Malu zu ihr, packte sie bei der Hand und zog sie in das Atelier. »Du musst die Kleider probieren, bitte.«
    Constanze wand sich aus ihrem Griff. »Ich bin müde. Kann das nicht warten? Oder kann das nicht jemand anders machen?«
    Malu schüttelte den Kopf. »Nein, ich nähe die Kleider nach deinen Maßen.«
    Constanze schüttelte den Kopf, zog ihren Morgenmantel fest um sich und biss sich auf die Unterlippe.
    »Was ist?«, fragte Malu.
    Constanze blickte sie aus müden Augen an. »Ich habe es satt, für dich die Kleiderpuppe zu spielen«, erklärte sie.
    Malu wich verletzt zurück. »So oft habe ich dich nicht darum gebeten.«
    »Aber du hast es getan. Ich bin ein Mensch, keine Puppe. Such dir, wen du willst.« Mit einem abweisenden Gesicht ging sie hinaus.
    Malu schaute ihr nach und murmelte vor sich hin: »Was hat sie nur? Warum will sie sich plötzlich nicht mehr für mich in die Stoffe hüllen?« Aber sie hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken, der Termin saß ihr im Nacken.
    Also zog sie die gehefteten Kleider selbst an. Und was sie da im Spiegel erblickte, machte sie glücklich. Das bloße Leinenkleid, so ganz ohne Verzierungen, brachte ihr Gesicht zur Geltung; es betonte die Augen und den Mund. Das Jäckchen ließ sie aussehen wie eine Romanowtochter, und der leichte Mantel mit der Sternenstickerei raubte ihr beinahe den Atem. Alles glitzerte und glänzte. Bei jeder noch so leichten Bewegung fiel das Licht anders auf die Silberfäden und ließ das Gewand immer wieder anders schimmern.
    Malu lächelte. »Ja«, sagte sie leise zu sich selbst. »Ja. Das ist es. Genau das habe ich immer gewollt. So und nicht anders muss ein Kleid aussehen.«
    Dann setzte sie sich an die Nähmaschine, Nadeln im Mund, und nähte und nähte und nähte. Es wurde Abend, aber Malu bemerkte es nicht. Sie hatte weder Hunger noch Durst. Einmal nur hielt sie inne, um eine Zigarette zu rauchen und dabei über das richtige Garn für den Saum nachzudenken. Dann nähte sie weiter. Als das Kleid und der Mantel fertig waren, hockte sie sich auf den Boden und zeichnete mit Schneiderkreide ihre nächsten Entwürfe direkt auf den Stoff. Sie entwarf einen Anzug aus Pluderhose und Tunika, dann ein weiteres Kleid, das mit einer Pelzstola getragen werden musste. Als Nächstes schnitt sie einen Abendmantel zu, dessen Stoff japanische Motive zeigte. Anschließend nähte sie einen Rock, der eigentlich eine Hose war, aber so weit und mit einer knielangen Schürze versehen, das man die Hose darunter mehr ahnte als sah.
    Sie arbeitete mit glühenden Wangen und brennenden Augen. Als sie endlich so erschöpft war, dass die Nähte vor ihren Augen verschwammen, war es bereits Mittag am nächsten Tag.
    Zwei Tage später hüllte sie die fertigen Kleider in Seidenpapier, packte sie vorsichtig in ihr Auto und fuhr damit zum KaDeWe.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, etwas geschaffen zu haben, das ganz und gar ihr entsprach. So wie diese Kleider, so war sie. In diese Stoffe hatte sie all ihr Wissen und Können, ihr ganzes Temperament und ihre Leidenschaft gelegt.
    Herr Jandorf erwartete sie bereits.
    »Wir werden die Präsentation im Café abhalten«, erklärte er. »Wir machen eine Modenschau. Die Zuschauerinnen werden allerdings unsere Verkäuferinnen sein. Was meinen Sie?«
    Malu schluckte. »Eine Modenschau? Aber ich habe gar keine Mannequins dafür.«
    Jandorf winkte ab. »Die Frauen warten schon. Gehen Sie einfach in das Café, suchen Sie sich eine der Verkäuferinnen aus und lassen Sie sie die Kleider tragen.«
    Malu nickte. Sie spürte ihr Herz im Hals klopfen. Eine Präsentation im KaDeWe vor den Verkäuferinnen. Das war schwierig. Schwieriger als alles, was sie je getan hatte. Sie musste die Frauen von ihrer Kollektion überzeugen, damit sie die

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