Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Überzeugung, es handele sich bei den Dieben »um diese Frau, die ihr Baby umgebracht hat, und diesen Burschen, mit dem sie durchgebrannt ist«. Im späteren Verlauf des Tages trifft O’Brien auf der Straße einen Hausierer, der zugibt, Jemma vor ein paar Jahren einen Damenrevolver und Munition verkauft zu haben. Als Journalisten der Lokalpresse um Detailinformationen nachsuchen, ergreift O’Brien die sich ihm bietende Gelegenheit. Ob Jemma und Byrne nun diesen Diebstahl begangen haben oder nicht, er weiß, dass er ihn zu seinem Vorteil nutzen kann. Er fordert die Journalisten auf, die Öffentlichkeit zu warnen, sich dem Paar, sollte es gesichtet werden, nicht zu nähern, da es bewaffnet sei.
In den folgenden Wochen wird O’Brien dann ganz heimlich den Spekulationen Vorschub leisten, Musk und Byrne steckten hinter sämtlichen Delikten im Umkreis, von Weideviehdiebstählen über Einbrüche bis zu Schießereien, bei denen die Identität der Verbrecher nicht bekannt ist. Die Zeitungen werden sich auf diese Geschichte stürzen und wann immer man die geächtete Dame und ihren Liebhaber gesehen zu haben glaubte, diese Begegnungen begeistert ausschmücken. Kommt die Sache dann erst mal ins Rollen, wird Marcus O’Brien beim Polizeikommissar mit der Bitte um zusätzliche Männer für die Jagd nach den Geächteten vorstellig werden und die Journalisten ermutigen, sich des Falls anzunehmen. Binnen weniger Monate werden die Leitartikel von Age und Argus sich für die Notwendigkeit einer Spezialeinheit wie die starkmachen, mit der man Ben Hall gefangen genommen hat, um »dieses Paar zu jagen, dessen Bedrohung der öffentlichen Moral beinahe so schwer wiegt wie ihre Verbrechen«.
33
Als Jemma erwacht, klebt Blut unter ihren Fingernägeln. Sie dreht sich um zu Nathaniel, der noch schläft, und sieht auf seinen Schultern die roten Kratzer. Sie schrubbt sich am Waschstand ihre Hände und zieht sich rasch an, um dann über die Treppe hinunter ins leere Foyer und hinaus ins Morgenlicht zu huschen.
Weit und breit ist niemand zu sehen. Jemmas Fußabdrücke sind die ersten im Sand, den die Gezeiten geglättet haben. Am Uferende schiebt sich eine kleine Landspitze ins Meer, und dahinter beginnt der Bogen der Bucht. Nachdem sie sich vergewissert hat, dass keiner zusieht, schnürt sie ihre Stiefel auf, entledigt sich ihrer Strümpfe und lässt sie unterhalb eines von Gras bewachsenen Hügels zurück. Sie schürzt ihre Röcke und rennt über den kühlen, feuchten Sand. Und läuft, bis ihre Beine schwach werden und in ihrer Brust ein Feuer brennt und sie nicht mehr weiterkann. Eine Weile bleibt sie wie in Trance sitzen und empfindet dabei nur matte Erleichterung. Ihre Augen folgen dem Horizont und dem Spiel des Lichts auf dem Wasser. Am liebsten würde sie ihr Kleid abwerfen und direkt hineinspringen. Doch jetzt sind auch andere Leute zu Gange: auf der Mole und in den Booten in Küstennähe ein paar Fischer und morgendliche Spaziergänger, die über den Sand näher kommen. Sie wird ins Hotel zurückkehren und sich ihren Badeanzug holen und auf die Schwimmzeiten für die Damen in den Seebädern nahe des Hafens warten müssen.
Es ist bereits Vormittag, als sie endlich ins Wasser darf. Die meisten Frauen gehen vorsichtig und schrittweise hinein und kreischen dabei wie Schulmädchen, um sich dann am Fleck auf und ab zu bewegen. Eine Weile planscht Jemma mit ihnen, aber als keiner herzusehen scheint, taucht sie unter Wasser und kehrt für einen kurzen Moment in ihren Traum zurück. Jedes Mal, wenn sie untertaucht, gleitet sie in jene andere Dimension ab, wo ihre Lucy lebt und auf sie wartet. Selbstvergessen beginnt Jemma mit offenen Augen von einem Zaun zum anderen zu kraulen und dabei den Boden abzusuchen, ohne mitzubekommen, dass sie für Aufruhr sorgt. Erst als sie innehält, bemerkt sie, dass alle Köpfe sich in ihre Richtung gedreht haben. Die wenigsten Frauen sind untergetaucht, und ihr Haar unter den Rüschenkappen ist noch immer trocken. Jemma blickt in die sie anstarrenden Gesichter. Nun hat sie genau das getan, was sie um jeden Preis vermeiden wollte: sich unmöglich aufgeführt. Tränen brennen ihr in den Augen. Sie wählt den kürzesten Fluchtweg, taucht erneut unter Wasser und taucht erst kurz vor dem Ufer wieder auf.
Sie hat bereits das halbe Hotelfoyer durchquert, als sie sich erneut Blicken ausgesetzt fühlt. Hinter seiner Theke sitzt der Hoteldirektor und beobachtet, wie sie hereinkommt. Sein Federhalter schwebt über dem
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