Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Mr. Wright wird für die im Außenbereich tätigen Bediensteten verantwortlich sein; Mrs. Wrights einzige Aufgabe besteht darin, meinen Sohn Henry zu unterrichten. Die Haushälterin Mrs. Croad kümmert sich um die häuslichen Angelegenheiten. Sollten Probleme oder Fragen auftauchen, wenden Sie sich an Mrs. Croad. Ich habe nur eine Bitte, Mrs. Wright, bitte schinden Sie meinen Sohn bei Ihrem Unterricht nicht zu sehr. Er ist ein kluger Junge und sehr wissensdurstig, neigt jedoch zu nervösen Reaktionen, wenn er zu sehr stimuliert wird.«
Dr. Leask teilt ihnen mit, dass er und seine Frau Amelia binnen eines Monats wieder nach Red Ridge zurückzukehren gedenken. In der Tür bleibt er stehen und sieht sie ein letztes Mal an. »Ich schätze mich äußerst glücklich, dass Sie meine Wege gekreuzt haben, Mr. und Mrs. Wright. Es wäre schön, wenn Sie sich gleich morgen früh bereithalten könnten, dann lasse ich Sie von meinem Kutscher abholen.«
Verdutzt und sprachlos sehen Nathaniel und Jemma ihm hinterher, als er durchs Foyer hinaus auf die Straße tritt. Jemma glaubt glücklich sein zu müssen, dass sie diese Stellen bekommen haben, aber außer Erleichterung, die Stadt zu verlassen, fühlt sie nichts. Nur ein wenig Verwunderung darüber, wie die Befragung gelaufen ist, die Eile, die merkwürdige Tatsache, dass Dr. Leask seinen Sohn der Fürsorge seines Hauspersonals und ein paar Fremder überlässt, die ihm gerade erst begegnet sind.
Es wird nicht so einfach sein, jemand anderer zu werden, überlegt sie. Ein halbes Leben abzustreifen, als würde man Kleider wechseln. Sie hat das Gefühl, sich auf einen unausgesprochenen Pakt eingelassen zu haben, als hätte sie die Existenz ihrer Tochter gegen ihren Liebhaber und eine neue Identität eingetauscht und müsse den Rest ihres Lebens den Preis dafür zahlen. Durch das Hotelfenster sieht sie einen Fischer, der, umkreist von Möwen, gemächlich auf den Horizont zurudert. Während Nathaniel und sie die Treppe zu ihrem Zimmer hochsteigen, gehen ihr die Worte eines Kinderlieds durch den Kopf, aber dessen einst fröhlicher Reim klingt wie finsterer Spott.
Voran, voran, voran, voran –
das Leben ist ein Traum.
34
Von keinem beachtet entschwinden sie in die Landschaft. Keine Blicke neugieriger Badender, kein Hoteldirektor oder zukünftiger Arbeitgeber an Deck eines Dampfers, kein Polizist hoch oben auf einem Aussichtsturm. Sobald sie die Stadt hinter sich gelassen haben, lösen sich die Anzeichen von Siedlungen rasch auf. Eine Weile werden sie von den Teebaumbüschen verschluckt und können das Meer nicht mehr erkennen. Derart gequält aussehende Bäume hat Jemma noch nie gesehen, ihre an menschliche Sehnen erinnernden Stämme hat der Wind verbogen und gebeugt. Farbe bringt nur hin und wieder ein blühender Eukalyptusbaum ins Bild, mit seinen kleinen orangefarbenen und blutroten Kelchen.
Langsam weitet sich die Landschaft zu hügeligen, dünenartigen Formationen, die auf riesige Sandflächen, dünn von Gras bedeckt, schließen lassen. Dann verflacht das Hügelland zu grünen, welligen Weideflächen, gesprenkelt mit Kühen und Schafen. Als es dämmert, springt vor ihnen ein Kängururudel über die Straße, und zwei Kookaburras setzen zum Duett an, und ihr Gekecker steigert sich fröhlich zum synkopischen Schluckauf.
Jemma starrt aus dem Fenster der Kutsche und spürt die heraufziehende Dunkelheit. Kurvenreich windet sich die Straße hinunter in eine Schlucht, heftige Regenschauer prasseln hernieder. Als das Gefühl unterzugehen und in Tiefen abzugleiten, wo kein Mensch sie mehr zu erreichen vermag, sie überkommt, überrascht sie das nicht, sie hat es erwartet. Und selbst mit Nathaniel an ihrer Seite, der ihre Hand hält, während der Regen aufs Dach trommelt, weiß sie, dass er nichts für sie tun kann. Wenn sie sich an die Vergangenheit oder an Wombat Hill zu erinnern versucht, taucht als einziges Bild die Ruine des ausgebrannten Hauses auf, das sie einst im Busch gemalt hat. Nur ein gemauerter Kamin und ein paar verkohlte Reste eines anderen Lebens. Ihre Hand greift nach dem Medaillon an ihrem Hals und umklammert es so fest, dass das Gold in ihrer Faust nachzugeben scheint.
Endlich sehen sie wieder das Meer, doch es ist eine andere Bucht als die, die sie von Melbourne aus überquert haben. Sie befinden sich jetzt auf der nach Osten zeigenden Rückseite der Halbinsel und sind, seit sie die Außengebiete von Settlers Cove hinter sich gelassen haben, keinem einzigen
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