Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Gästebuch. Sie nickt und geht raschen Schritts auf die Treppe zu, wobei ihr eine Kuh in den Sinn kommt, die ihr Brandzeichen nicht wie üblich auf dem Rumpf, sondern seitlich ihrer Nase, direkt unterhalb des Auges sitzen hatte. Jemma führt ihre Hand an ihre Wange und denkt dabei an die Kratzer, die diese hinterlassen hat. So wie die Leute sie anstarren, könnte sie sich gut selbst gebrandmarkt haben.
Der Hoteldirektor hebt seine Hand. »Mrs. Wright, Ihr Ehemann erzählte mir, Sie suchen nach einer Anstellung.« Weil er es kaum erwarten kann, seine Neuigkeiten loszuwerden, wartet er nicht auf ihre Antwort. »Ich denke, Sie könnten Glück haben, Mrs. Wright. Einer unserer angesehensten Gäste ist der Melbourner Arzt Dr. Theodore Leask. Er ließ mich wissen, dass er dringend eine Gouvernante für seinen Sohn und einen Aufseher für sein Anwesen an der Westernport Bay sucht.«
Binnen weniger Minuten ist alles vereinbart. Nathaniel und sie werden Dr. Leask am frühen Nachmittag treffen, bevor Leask und seine Frau den Dampfer zurück nach Melbourne nehmen.
Als Nathaniel und Jemma die Hotellounge betreten, senkt ein großer, mit einer türkisen Weste bekleideter Mann die Zeitung, in der er liest, spießt seine Zigarre am Kamin auf und erhebt sich aus seinem Sessel, um sie zu begrüßen. Jemmas Blick fällt auf die Argus , die er gerade weggelegt hat. Sie hat sie am Vormittag beim Frühstück durchgeblättert und dann wegen der ungeheuerlichen Behauptungen fallen lassen, die man darin über sie schreibt. Bei der Überlegung, was Dr. Leask wohl gelesen haben mag, zieht sich alles in ihr zusammen.
Theodore Leask will gerade etwas sagen, als ihn etwas innehalten lässt. Er starrt sie an, aber dann blitzt der Funke des Wiedererkennens in seinen Augen auf.
Jemma wappnet sich. Sie hätten wissen müssen, dass Wegrennen sinnlos war.
»Natürlich!«, sagt er und strahlt sie beide an. »Die Frischvermählten gestern auf dem Dampfer. Ich habe Sie oben an Deck gesehen.«
Jemma bringt ein schwaches Lächeln zustande, und sie nehmen gemeinsam Platz. Knapp und ohne Umschweife, wie er das als Mann der Armee gewohnt war, bedankt Dr. Leask sich bei ihnen, dass sie sich angeboten haben, so kurzfristig einzuspringen.
»Man hat mich leider im Stich gelassen.«
Vor einer Woche, so erklärt er, seien die Gouvernante seines Sohnes und der Aufseher seines Anwesens bei Red Ridge durchgebrannt und zu den Goldfeldern aufgebrochen. Er werde jedoch am Abend wieder im Royal Melbourne Hospital gebraucht und müsse diese Sache so rasch wie möglich abwickeln. Der Hoteldirektor, Mr. Lucas, habe sie ihm als ehrbares, frisch verheiratetes Paar empfohlen. Und da Mr. Lucas ein guter Menschenkenner sei, habe er die Zuversicht, von ihnen nicht enttäuscht zu werden.
Jemma und Nathaniel sehen sich an. Jemma fragt sich, ob sie den Schein aufrechterhalten kann. »Sie sind sehr vertrauensselig, Dr. Leask.«
Dr. Leask schielt über seine Brille. Nathaniel beruhigt ihn mit einem Lächeln und ist insgeheim wütend auf Jemma, weil sie Zweifel an ihrer Integrität aufkommen lässt. Einen Moment lang macht Dr. Leask einen verwunderten Eindruck, da er den Ton dieser Bemerkung nicht deuten kann. Dann verpufft seine Unsicherheit in einem schroffen Lachen und einer wegwerfenden Geste seiner Hand, als hätten sie gerade eine Prüfung bestanden, der er sie unterzogen hatte. »Vertrauen ist nur ein Teil davon, Mrs. Wright. Ich bin ein Mann der Wissenschaft. Ich ziehe Schlussfolgerungen. Die bloße Tatsache ihrer Bemerkung sagt mir, dass Sie vertrauenswürdig sind.«
Mit einem Blick auf seine Taschenuhr eilt er voran, stellt ihnen der Form halber ein paar Fragen zu ihren früheren Dienstverhältnissen. Jemma erwähnt ihre Jahre, die sie mit Unterrichten an Mrs. Sands’ Ladies’ College verbracht hat; Nathaniel nimmt Bezug auf seine Zeit auf verschiedenen Anwesen im Mount-Alexander-Bezirk. Besorgt warten sie darauf, dass er ihre Zeugnisse sehen will. Die einzige kriminelle Tat, die sie beide bisher begangen haben, besteht darin, dass sie den Vormittag damit zugebracht haben, gefälschte Referenzen ihrer früheren Arbeitgeber zu erstellen.
Das Schiffshorn ertönt und verkündet das Eintreffen des Dampfers unten am Pier, was Dr. Leask erneut auf seine Uhr sehen lässt, sodass die Frage nach den Referenzen gar nicht erst aufkommt.
»Dann scheint alles in Ordnung zu sein«, sagt er und erhebt sich aus seinem Sessel. »Sie können die Stellen haben, wenn Sie möchten.
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