Sehnsucht und Erfüllung
niemanden wie dich.”
Sie verfielen in Schweigen. Ein angenehmes Schweigen, dachte Kelly. Während sie aßen, betrachtete sie Shane immer wieder – sein markantes Gesicht, seine gold gesprenkelten Augen, seine geschmeidigen Bewegungen.
“Hast du dein Haar schon immer lang getragen?”
Shane nickte. “Mir wurde beigebracht, dass ein Komantsche stolz auf sein Haar sein sollte.” Er trank noch einen Schluck Wasser. “Aber die Männer übertrieben es in früherer Zeit ein bisschen. Manchmal verlängerten sie ihr eigenes Haar mit Pferdehaaren. Oder sie erbaten Haarsträhnen von einer trauernden Frau.”
“Die Komantschinnen schnitten sich das Haar ab, wenn jemand starb?”
“Männer auch. Aber nicht so häufig wie Frauen.”
Kelly dachte an ihren verstorbenen Großvater. Ob Shane ihm gezeigt hatte, wie man räucherte?
“Würdest du den Salbei bitte noch mal anzünden?” Sie mochte den herben Duft und dessen beruhigende Wirkung.
“Gern.”
Nachdem sie den Tisch abgeräumt hatten, setzten sie sich ins Wohnzimmer und probierten Kellys Lieblingsdessert – Kantalupmelone mit Vanilleeis. Es regnete noch immer in Strömen.
“Meine Mutter und ich verstehen uns in letzter Zeit nicht besonders”, fing Kelly an.
Shane stellte seinen Nachtisch beiseite. “Wegen des Babys?”
“Wegen dessen Vater. Sie will, dass ich ihn zu einem Vaterschaftstest zwinge.”
Sie wartete darauf, dass Shane antwortete, doch er saß nur da und starrte sie an. Wenn er doch etwas sagen würde. Irgendetwas. Das Thema war schon schwierig genug, und sein angespanntes Schweigen machte die Sache nicht leichter.
Vaterschaftstest – dieses Wort löste bei Shane augenblicklich Erinnerungen an vergangenen Schmerz aus.
Er versuchte, sich ganz auf Kelly zu konzentrieren. Sie brauchte einen Freund, um sich auszusprechen. Wenn er erneut den Schmerz über seine gescheiterte Ehe durchlebte, würde er keinem von ihnen beiden nützen.
“Wer ist denn der Vater deines Babys?”
“Er heißt Jason Collier. Wir waren zusammen auf der Highschool, aber er hat mich nie sonderlich beachtet …”
“Dann war er damals also nicht mit dir zusammen?”
“Himmel, nein. Er war einer der beliebtesten Jungen auf der Schule. Er ging mit den Mädchen aus der Cheerleader-Truppe aus und mit Mädchen aus einflussreichen Familien.”
Kellys Unterton zufolge hielt sie sich für nicht standesgemäß. Unwillkürlich musste Shane an Tami denken, an eine Zeit, als er selbst seinen Wert anzweifelte.
Kelly spielte mit ihrem Eis herum. “Ich war geschockt, als Jason sich letzten Sommer mit mir verabreden wollte. Natürlich wusste er, dass er mir gefiel, aber ich hätte nie damit gerechnet, dass er darauf reagieren würde.”
“Du bist also mit ihm ausgegangen?”
“Ja, zwei Wochen lang, ehe wir …”
“Miteinander schliefen?” Shane fragte sich, warum dieses Eingeständnis Kelly unangenehm war. Immerhin war sie vierundzwanzig.
“Es war mein erstes Mal”, gestand sie unvermittelt.
Das überraschte ihn dann doch. “Kein Grund, sich zu schämen. Für jeden gibt es ein erstes Mal.”
Sie schob ihr Eis, das zu schmelzen begann, beiseite. “Aber … ich war nicht besonders gut.” Sie seufzte. “Vielleicht, weil ich nervös war. Jason musste für einen Monat verreisen, und so lange ohne ihn zu sein, fand ich schrecklich. Ich stand wohl irgendwie neben mir.”
“Er hat dich bedrängt?”
“Nein. Aber weil ich so unerfahren war, dachte ich, miteinander ins Bett zu gehen, würde uns einander näherbringen, und er würde unser Wiedersehen kaum abwarten können.”
“Und das tat er nicht?”
“Er war wütend, als er erfuhr, dass ich schwanger war.”
Shane merkte, dass ihr Tränen in die Augen traten. Sie sah sehr traurig aus. Was war dieser Jason bloß für ein mieser Typ.
“Liebst du ihn denn?”
Sie wich Shanes fragendem Blick aus. Er wollte, dass sie verneinte. Aus einem unerfindlichen Grund wollte er nicht, dass sie in Jason verliebt war.
Shane setzte sich ganz gerade hin. Diesen Kerl nicht zu lieben, würde es ihr leichter machen. Nein, sein ungutes Gefühl in der Magengrube war keine Eifersucht, es war Besorgnis.
“Ich weiß es nicht, vielleicht. Ich denke viel an ihn.” Sie zupfte an ihrer Serviette herum. “Er ist sehr charmant, oder zumindest war er es, ehe ich schwanger wurde. Jason sieht gut aus und ist nett. Er ist allgemein beliebt.”
Shane gewann das Bild eines jungen Unternehmers – sicheres Auftreten, redegewandt,
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