Sehnsucht und Erfüllung
im Keller hatte – einschließlich Mineralwasser, haltbarer Lebensmittel und einer Auswahl rezeptfreier Medikamente, Wolldecken und Bettwäsche.
Gleich darauf fuhren sie los. Die Straßenverhältnisse waren schlecht, aber nicht so katastrophal, wie Shane befürchtet hatte. Sein Wagen mit Allradantrieb ließ ihn nicht im Stich.
Als das Blockhaus in Sicht kam, wurde Shane immer nervöser. Er betete, dass es Kelly gut ging und dass seine Vorahnung sich nicht bewahrheitete.
Er hämmerte mit der Faust an die Tür.
Keine Reaktion.
“Verdammt, warum öffnet sie nicht?” Er schlug erneut gegen die Tür. “Kelly! Ich bin’s! Shane!”
Gerade, als er mit seinem Vater beratschlagen wollte, was sie nun machen sollten, ging die Tür endlich auf, und Kelly stand vor ihnen. Schweißgebadet, das Haar in schweißfeuchten Strähnen. Sie war kreidebleich. Stolpernd sank sie Shane in die Arme.
“Das Baby kommt gleich”, flüsterte sie kaum hörbar.
“Keine Bange, wir sind ja jetzt hier.” Shane hob sie auf die Arme, und erst da wurde ihm bewusst, dass er eben ein Tabu gebrochen hatte – bei den Komantschen war es Männern untersagt, bei einer Geburt dabei zu sein. Die einzige Ausnahme bildete der Medizinmann.
Angst stieg in ihm auf, doch er hoffte inständig, dass ihm vergeben wurde.
Gefolgt von Tom trug er Kelly ins Haus zurück und legte sie aufs Bett.
Dann übernahm Tom das Kommando. Er hielt ihre Hand und erkundigte sich, in welchem Abstand die Wehen kamen. Sie antwortete ihm mit Tränen in den Augen.
“Ich helfe fast jeden Tag Babys auf die Welt”, beruhigte Tom sie. “Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.”
Shane war klar, dass es sich dabei um Fohlen und Kälbchen handelte, aber das spielte keine Rolle. Tom McKinley war Arzt – ein Medizinmann.
Während sich Tom gründlich die Hände wusch, setzte sich Shane zu Kelly, verwirrt und voller Angst. Er wollte ihr übers Haar streichen, ließ es jedoch. Er durfte sie nicht weiterhin berühren. Seine Großmutter hatte ihn in die Traditionen seines Stammes eingeführt, und Shane hatte sich den Gebräuchen gefügt und sich bei Evans Geburt ferngehalten.
Als Tom ihn bat, einige Dinge zusammenzusuchen, stellte er fest, dass das meiste davon schon auf der Kommode bereitlag. Ihm krampfte sich das Herz zusammen. Die süße kleine Kelly hatte sich darauf vorbereitet, ihr Kind ganz allein zur Welt zu bringen. Wie konnte er sich da abwenden? Wie sollte er ihr erklären, dass er kein Recht hatte, bei ihr zu sein?
Die Zeit verging. Shane hätte nicht sagen können, ob eine halbe Stunde oder eine Stunde verstrichen war. Tom wusste es bestimmt. Er schien genau darauf zu achten, in welchen Abständen die Wehen kamen. Bei jeder Wehe unterdrückte sie nur mit Mühe einen Aufschrei.
Shane betete, dass sie alles gut überstand.
Und dass seine inzwischen verstorbene Großmutter sich irrte und seine Anwesenheit weder Kelly noch ihrem Kind schadete.
Tom blieb am Fußende des Bettes. Er hatte Kelly ein Laken über die angewinkelten Beine gedeckt, um ihre Intimsphäre zu wahren.
“Du brauchst noch nicht zu pressen”, erklärte Tom ihr.
Als der Schmerz verebbte, sah Kelly zu Shane hoch. Er saß noch immer neben ihr, hin- und hergerissen zwischen indianischen Traditionen und seinem Wunsch, sie zu berühren und ihr Kraft zu geben.
Da berührte sie ihn mit zitternder Hand.
“Halt mich fest”, flüsterte sie. “Bitte.”
Er konnte ihr ihre Bitte nicht abschlagen. Sie wirkte so zerbrechlich und verängstigt. Sie war schweißgebadet, und ihr Herz raste. Genau wie sein eigenes. Beruhigend strich er ihr übers Haar. Es ist richtig, sie in die Arme zu nehmen, schoss es ihm durch den Kopf.
Als die nächsten Wehen kamen, befahl Tom Kelly zu pressen, und sie tat es mit aller Kraft. Shane stützte sie an den Schultern ab und hielt Kelly dabei so eng umfasst wie nur irgend möglich. Sie presste und presste und klammerte sich dabei an ihm fest, als sei er ihr Fels in der Brandung.
Seine Großmutter hatte sich geirrt. Kelly brauchte ihn. Er konnte ihr unmöglich schaden. Und auch ihrem Baby nicht.
Mitten in Shanes Überlegungen hinein ertönte der kräftige Schrei eines Neugeborenen. Shane hielt den Atem an.
“Es ist ein Mädchen”, verkündete Tom stolz und legte das winzige Wesen seiner Mutter auf den Bauch. “Und sie ist kerngesund.”
Die nächste Stunde war die unglaublichste Stunde in Shanes ganzem bisherigen Leben. Er hatte nicht nur Kelly bei der Geburt
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