Sehnsucht und Erfüllung
gefüttert hatte. Und er würde dafür sorgen, dass sie erst abreiste, wenn der Sturm vorbei war.
Shane seufzte. Wenigstens war es kein Tornado. Solange Kelly im Haus blieb, würde ihr nichts passieren. Wahrscheinlich lag sie, nachdem sie sich gründlich ausgeschlafen hatte, mit einem Buch im Bett und trank Tee.
Kelly war drauf und dran, in Tränen auszubrechen. Dabei hatte sie sich so beschworen, nicht zu weinen, und hatte sich eingeredet, dass die Schmerzen, die die ganze Nacht über regelmäßig wiederkehrten, nicht bedeuteten, dass das Baby kam. Jetzt wusste sie es besser. Ihre Fruchtwasserblase war geplatzt.
Wann würden die nächsten Wehen kommen? In welchen Abständen waren sie bisher gekommen?
Sie wusste es nicht. Und auch nicht, wie häufig sie im Laufe der Nacht probiert hatte, ob das Telefon wieder funktionierte.
Nach einem weiteren vergeblichen Versuch konnte Kelly ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Sie fühlte sich völlig hilflos. Das Tageslicht hatte ihr ihre Angst nicht genommen. Trotz der geöffneten Fensterläden war es dämmrig im Blockhaus, und der Regen trommelte unvermindert heftig aufs Dach.
Die Geburt ihres Babys stand bevor, und sie war allein, gefangen in einem fürchterlichen Unwetter. Wo war Shane? Er wollte doch anrufen. Sicher würde er nach ihr sehen, wenn er erst einmal gemerkt hatte, dass die Leitung tot war.
Der Gedanke, dass bis dahin noch zwei, drei Stunden vergehen konnten, versetzte sie in Panik. Um Fassung ringend, blickte sie sich in dem rustikal eingerichteten Raum um. Hier also würde ihr Kind das Licht der Welt erblicken. Seinen ersten Schrei tun. Zum ersten Mal seine Mutter ansehen.
Schniefend wischte sich Kelly die Augen. Schluss mit den Tränen. Es war Zeit, sich zusammenzureißen. Ihr Baby brauchte sie jetzt.
Sie zog sich ein sauberes Nachthemd an und wechselte das Bettlaken, was nicht ganz einfach war. Dann holte sie saubere Handtücher und legte sie auf dem Nachttisch bereit. Zudem eine kleine Schere und ein Desinfektionsmittel, um die Schere zu sterilisieren. Durchbeißen wollte sie die Nabelschnur schließlich nicht.
Sie musste lachen – und hoffte inständig, ihr Baby könnte das spüren. Es sollte nicht mitbekommen, dass sie wahnsinnige Angst hatte.
Würde sie eine Schüssel Wasser brauchen? Feuchte Waschlappen?
Ihre Überlegungen wurden jäh unterbrochen. Die nächste Wehe war so heftig, dass sie aufs Bett taumelte. Jetzt wurde es ernst.
Völlig durchnässt und mit schlammverkrusteten Gummistiefeln kam Shane nach Hause. Es war fast Mittag. Er hatte heute Stunden zum Füttern gebraucht.
Nachdem er sich im Wirtschaftsraum umgezogen und Gesicht und Hände gewaschen hatte, ging er in die Küche in der Hoffnung, sein Vater würde eine Kanne Kaffee gekocht haben.
Tom war zwar in der Küche, aber es duftete nicht nach frisch gebrühtem Kaffee.
“Was ist los?”
Sein Dad war dabei, eine Taschenlampe mit Batterien zu bestücken. Auf dem Tisch standen weitere Taschenlampen bereit, außerdem einige Petroleumlampen.
“Der Strom fällt immer wieder aus. Es dauert sicher nicht mehr lange, bis die Versorgung ganz zusammenbricht.”
Shane fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Die Lage wurde immer schlimmer. “Ich sollte besser Kelly anrufen.”
Tom testete die Taschenlampe. “Ich verstehe einfach nicht, warum sie gestern nicht mit zu uns gekommen ist.”
“Ich hätte darauf bestehen sollen.” Shane griff nach dem Telefonhörer. “Aber du weißt ja, wie dickköpfig Frauen sein können.” Dass er keine Verbindung bekam, traf ihn wie ein Schlag. Irgendetwas stimmte nicht. Warum spürte er das erst jetzt?
“Dad, kommst du bitte mit zu Kelly? Ich glaube, sie braucht uns.”
Das Küchenlicht flackerte, dann verlosch es ganz. Keiner der beiden Männer achtete darauf. “Warum? Was ist passiert? Hat sie sich nicht gemeldet?”
“Die Leitung ist tot.”
“Das ist doch kein Grund zur Panik, Shane.”
“Aber ich habe so ein komisches Gefühl. Und Kelly schien sich gestern nicht wohl zu fühlen. Sie war sehr müde und blass.”
Eine weitere Erklärung war nicht nötig. Hastig suchten Tom und Shane diverse Notfallutensilien zusammen. Der Strom war offenbar endgültig weg, und der Gedanke, dass Kelly krank sein könnte, behagte ihnen beiden nicht.
“Hol noch ein paar Decken”, sagte Tom, ehe er hinausging, um alles in Shanes Wagen zu verstauen.
Shane tat, wie ihm geheißen. Er war sehr froh, dass Tom immer eine Notausrüstung für Tornados
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