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Sehnsucht

Sehnsucht

Titel: Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang R. Hantel-Quitmann
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stärkere Auswirkungen auf ihn und seine zumindest potentiellen Partnerinnen gehabt. Aber an seinem 90. Geburtstag kann er mit dieser Lebensbilanz anders und viel leichter und lockerer umgehen, weil er nicht mehr von seinen sexuellen Begierden getrieben wird und weil er sein Leben nicht mehr vor sich, sondern hinter sich hat.
    Die Sehnsucht am Ende des Lebens macht ihm keinen Druck mehr, auch weil er in die schlafende Delgadina alle Wünsche hineinprojizieren kann. Sie ist ein Traumbild, eine reine Projektionsfläche all seiner romantischen Gefühle, ein Produkt seiner späten Verliebtheit. Aber in dieser Verliebtheit gibt es kein Gegenüber, seine Liebe wird nicht durch eine andere Person beantwortet. Alle seine romantischen Liebesgefühle sind Ausdruck seiner grenzenlosen Phantasien, derer sich seine Sehnsüchte bemächtigt haben. Ihm ging es nicht mehr darum, dieses Mädchen haben, sie besitzen, oder mit ihr Sex haben zu wollen, weil sie schlafend viel mehr bedeutete: die Sehnsucht eines ganzen Lebens.

4.  
Glück ist die Sehnsucht, die nicht altert –
Der Wunsch nach einem glücklichen Leben
    Solang du nach dem Glück jagst,
    bist du nicht reif zum Glücklichsein.
    Herrmann Hesse
    Dachte er wieder, er müsse glücklich sein,
    weil alles stimmte?
    War das Glück, das er empfand,
    wieder nur das Zutaten-Glück?
    Bernhard Schlink
    Aristoteles, der griechische Gelehrte und Lehrer Alexanders des Großen, schreibt in seinem Werk Nikomachische Ethik: Glück ist die Sehnsucht, die nicht altert . Dies kann so verstanden werden, dass unsere Sehnsüchte uns ein Leben lang begleiten und nicht nur ein Privileg der Jugend sind, in der das Schwärmen, Hoffen und Sehnen Ausdruck natürlich-romantischer Entwicklungen sind. Der Altersforscher und verstorbene Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Paul Baltes hat sich in seinen letzten Lebensjahren sehr dem Thema Sehnsucht aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive zugewandt (siehe Kap. 9) und mit seinen Forschungen Aristoteles mehr als bestätigt. Die Suche nach einem glücklichen Leben erfährt im Lebenslauf jeweils altersbedingt verschiedene Inhalte, Formen und Ausprägungen, aber sie begleitet uns bis zum Tode und als paradiesische Sehnsucht noch darüber hinaus.
    Als Jugendliche haben wir bestimmte Fähigkeiten noch nicht, im Alter haben wir sie vielleicht nicht mehr, aber wir passen uns den Umständen des Lebens und Alterns an, um die Sehnsucht nach Glück verwirklichen zu können. Paul Baltes hat diese Anpassungen am Beispiel des Pianisten Arthur Rubinstein verdeutlicht. Dieser hat auf die wiederholte Frage, wie er es schaffe, noch in hohem Alter so perfekt Klavier zu spielen, mit dem Hinweis auf drei Anpassungsstrategien geantwortet: Erstens optimiere er durch vermehrtes Üben beständig sein Spiel, zweitens spiele er vor schnellen Passagen bewusst langsamer und drittens würde er die Stücke je nach Fähigkeiten und Publikum sorgsamer aussuchen als früher. Diese Strategien zur Anpassung im Alter sind mittlerweile bekannt als Optimierung, Kompensation und Selektion (s.u.). Der Mensch ist eben erfinderisch, wenn es darum geht, Glück unter allen Umständen erreichen zu wollen. Dabei wird das Glück leicht zu einem gejagten Phantom, das sich wieder verflüchtigt, sobald man es zu haben glaubt.
    Besonders in den letzten Jahren hat eine wahre Jagd auf das Glück stattgefunden, das Glück wurde entdeckt und als scheinbar machbar erkannt. Eine richtige Glücksindustrie entstand rund um dieses neu entdeckte Bedürfnis herum und es wurden Dutzende von Büchern über das Glück inklusive praktischer Handlungsanleitungen veröffentlicht herausgebracht. Alle haben sie das schnelle Glück oder den einzigen Weg zum wahren Glück versprochen, dabei ist aber bis heute nicht klar, was Glück überhaupt ist.
    Dumm sein und Arbeit haben, das ist Glück
    Man ist gewohnt, sich bei komplizierten oder grundsätzlichen Fragen an intelligente Menschen zu wenden, doch Intelligenz ist nicht immer vorteilhaft. Wer über mehr Wissen verfügt, derkennt auch mehr Gefahren, und wer dieses Wissen nicht hat, kann beruhigter schlafen. Sind intelligente Menschen vielleicht glücklicher als dumme? Auch dies scheint ein Trugschluss zu sein. Intelligente Menschen sind im Zeitalter der verdummenden Massenmedien und der schlechten Berufsaussichten

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