Sehnsucht
wahrscheinlich auf eine besondere Weise unglücklich. Deshalb meint ein deutscher Entertainer: Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück .
Sind durchschnittlich begabte, anspruchslose oder bescheidene Menschen also glücklicher, führen Intelligenz, Ansprüche und Erwartungen eher ins Unglück? Für die meisten normalen Bürger ist es schon das gröÃte Glück, wenn ein lang gehegter Traum endlich in Erfüllung geht. Wenn eine Frau nach so vielen geküssten Fröschen doch noch den Märchenprinzen trifft â oder zumindest ernsthaft daran glaubt, sie habe ihn gefunden! Oder wenn seine Lebensversicherung wider Erwarten nicht vollends an den Finanzmärkten verzockt wurde und er immerhin noch die Hälfte der eingezahlten Summe zurückgezahlt bekommt. Besonders bewegend erscheinen die groÃen Glücksmomente: Wenn ein Sportler nach unendlichen Trainingsmühen endlich in die Nationalmannschaft berufen wird oder gar eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen gewinnt! Ja, das Glück bei der Erfüllung einer langen Sehnsucht scheint das gröÃte zu sein.
Oder ist das plötzliche Glück noch erfüllender, wollen wir doch lieber vom Glück überrascht werden, wie bei der unverhofften Mitteilung, dass etwas Wunderbares passiert ist? Dass sich doch noch eine Schwangerschaft eingestellt hat, obwohl man schon nicht mehr daran geglaubt hat? Oder dass der langjährige Partner endlich einen Heiratsantrag macht? Ist es die lange Zeit, die wir sehnsüchtig auf das Glück gewartet haben, ist es die Botschaft, die uns glücklich macht, oder ist es vielmehr der Zeitpunkt, an dem uns das Glück ereilt, weil wir vorher gar nichts damit hätten anfangen können? Bekommen wir durch das Glück etwas dazu, was wir uns immer gewünscht haben, wie einKind, ein Erbe oder eine groÃe Liebe, oder verlieren wir etwas, was wir nie haben wollten, wie eine unheilbare Krankheit, eine hoffnungslose Verschuldung oder ein nerviges Beziehungsproblem? Wann fühlen wir uns glücklich? Nach der erfolgreichen Arbeit, einem guten Film, leidenschaftlichem Sex, einer Tasse heiÃen Kaffee, bei Mozarts Klavierkonzerten, einem persönlichen Gespräch, einer körperlichen Erschöpfung nach Sport, bei der Geburt der Kinder oder wenn sie endlich aus dem Haus sind, wenn wir uns verlieben oder wenn wir feststellen, dass daraus Liebe geworden ist, in der Einsamkeit oder der Zweisamkeit? Das Glück erscheint auf ganz individuelle Weise sehr kompliziert und variantenreich.
Glücksgefühle haben ihre Zeiten und MaÃe und können leicht ins Gegenteil umschlagen. Zu viel des Weines oder des guten Essens verursachen Ãbelkeit und es nützt das schmackhafteste Mehrgangmenü nichts, wenn man es mit der falschen Person an der Seite genieÃen soll. Vielleicht ist Glück eher ein Zustand des Seins und nicht des Habens. Ab einem monatlichen Einkommen von 50000 sind materielle Dinge anscheinend nicht mehr bedeutsam. Glücklich ist ein Mensch, wenn er in Frieden mit seinen Mitmenschen und der Natur lebt, entsprechend seinen persönlichen Idealen oder einfach im Einklang mit sich selbst. Das Glück hat man nicht, man sucht es, man sehnt sich nach ihm und man hat es immer nur in kurzen Augenblicken. Dieses Streben nach dem Glück erscheint wichtiger als das Haben und hat daher sogar Eingang in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 (the pursuit of happiness) gefunden. Nur Friedrich Nietzsche hat bislang gewagt, der These von einem natürlichen menschlichen Streben nach Glück zu widersprechen: Der Mensch strebt nicht nach Glück, nur der Engländer tut das. 34
Glück ist für die meisten Menschen anscheinend das Wichtigste im Leben und rangiert noch knapp vor Gesundheit und Liebe und sogar weit vor Reichtum. Wahrscheinlich geht man davon aus, dass ein Mensch mit Glück auch Gesundheit und Liebeerfährt und dass mehr Geld nicht automatisch zu mehr Glückseligkeit führt, wenn die materiellen Grundbedürfnisse der Menschen erst einmal befriedigt sind. Der römische Philosoph Seneca fand dagegen diejenigen am glücklichsten, die nichts haben, weil ihnen dann auch nichts geraubt werden könne. Heute schätzen sich beispielsweise Argentinier und Brasilianer glücklicher ein als Japaner, die über ein viel höheres Pro-Kopf-Einkommen verfügen. Ja, man kann sogar sagen, dass die Gier nach Reichtum die
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