Sehnsucht
Glück der gröÃten Zahl â The greatest happiness of the greatest number  â in einem menschlichen Gemeinwesen erreicht werden, wie es Jeremy Bentham in der nach ihm benannten Formel formuliert hat. Solange es Menschen gibt, haben sie sich mit dieser Frage beschäftigt und für diese Sehnsucht unterschiedliche Namen gefunden: Paradies, Utopie, Sozialismus, Atlantis, Ecotopia oder einfach die andere Welt. Diese Entwürfe einer idealen Gesellschaft kamen häufig als Satire daher und waren eine beiÃende Kritik der herrschenden Verhältnisse. Es sollte weniger das mögliche Paradies beschrieben als vielmehr die bestehende Hölle kritisiert werden. Dazu wurden die Konzepte in die weite Zukunft oder auf den Mond verlegt, an das Ende der Welt auf eine ferne Insel oder gar in den siebten Himmel.
Wie im siebten Himmel
Aller aufgeklärten Vernunft zum Trotz glauben die meisten Menschen an das Paradies und die Hölle. Danach kommen wir Menschen aus dem Paradies und kehren eventuell auch dahin zurück. Dazwischen verbringen wir auf dieser Erde eine gewisse Zeit, die nur in wenigen Momenten paradiesisch genannt werden kann. Viele Menschen erleben und erleiden dagegen viel zu lange »die Hölle auf Erden« und nicht wenige erwartet nach ihrem irdischen Dasein eine noch viel schlimmere Hölle im Jenseits. Einig sind wir uns fast alle darin, dass das Paradies und die Hölle ungerecht verteilt sind. Und gäbe es eine wirkliche Gerechtigkeit, dann müssten viele Menschen, die paradiesisch leben, in die Hölle, und andere, die eine Hölle ertragen müssen, hätten eigentlich das Paradies verdient. Daher ist die menschliche Sehnsucht nach dem Paradies eigentlich eher eine Sehnsucht nach dem Ende der Hölle. Dies wiederum wirft die Frage auf, was eigentlich genau das Paradies sein könnte und wie es dort im Einzelnen zugeht? Aber mit solchen Details befasst sich die Paradies Sehnsucht kaum, darüber geht sie geradezu schwärmerisch und leichtfertig hinweg. Hauptsache Paradies, danach sehen wir weiter. Ob es nun 70 blonde Jungfrauen für jeden Mann sein werden oder doch weniger (was bekommen eigentlich die Frauen?), ob Milch und Honig im Ãberfluss flieÃen und die gebratenen Hähnchen einem wirklich auf Wunsch in den Mund fliegen, ob dann alle unsterblich sein werden, ob wir dort alle wiedersehen werden, die wir hier schon lange vermissen, ob im Paradies wirklich immer Mozart erklingt, und ob dieses ganze Paradies auf Dauer nicht eher langweilig wird â dies alles interessiert im Moment nicht wirklich. Man kann sich auf eine einfache Formel einigen: Das Paradies ist einfach zu schön, um wahr zu sein.
Der römische Dichter und Gelehrte Ovid hat in seinen Metamorphosen ein goldenes Zeitalter in einer vorgeschichtlichenZeit vor dem Sündenfall beschrieben, in dem die Menschen ein leichtes, sorgenfreies, glückliches und paradiesisches Leben im Einklang mit einer reichhaltigen Natur geführt haben. Die frühesten Paradiesvorstellungen sehen das Paradies in einem ewig fruchtbaren Garten (Eden), der von einem Fluss bewässert wird, der niemals versiegt. Adam und Eva lebten in diesem Garten, bemerkenswerterweise ohne Kinder. Nach islamischem Glauben wurden Adam und Eva an verschiedenen Punkten ausgesetzt und mussten sich erst finden. Dies geschah am Berg Arafat, an dem auch der Prophet Mohammed im Jahre 632 n. Chr. seine Abschiedspredigt hielt. Die Vereinigung von Adam und Eva ist im Islam also eine Liebesgeschichte, während die Geschichte dieser beiden ersten Menschen im Christentum mit dem Sündenfall, ja sogar mit der Erbsünde aller Menschen verbunden wird. Auch im jüdischen Glauben gibt es dagegen keinen Sündenfall und schon gar keine Erbsünde.
Das Paradies ist eine von Gott erschaffene Welt, in der alle menschlichen Bedürfnisse befriedigt werden. Das Paradies wird in einem hierarchischen Zusammenhang gesehen, deshalb spricht man von einem Gefühl »wie im siebten Himmel«. Solche hierarchischen Vorstellungen finden sich im Mittelalter häufig, beispielsweise bei Dante in der Göttlichen Komödie (Comedia Divina), in der es mehrere aufsteigende Kreise der Hölle gibt. Hier ist der Gedanke des Gegenentwurfs naheliegend, weil ja auch die gesellschaftlichen Verhältnisse unserer Welt seit jeher hierarchisch sind, daher auch die Konzeption von Paradies und Hölle; das eine himmlisch, also
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