Sehnsuchtsland
Weg nach Marielund zu folgen.
*
Elinor saß an ihrem Schreibtisch im Pförtnerhäuschen und beendete ihren letzten Tagebucheintrag. Sie hatte etwas über das Mädchen geschrieben. Wie reizend und verständig es gewesen war und wie tapfer. Tapferkeit war eine Charaktereigenschaft, die Elinor sich manchmal gern für sich selbst gewünscht hätte. Vielleicht würde sie es dann endlich fertig bringen, all die Briefe zu öffnen, die in den letzten Jahren von der Bank und vom Gericht gekommen waren. Sie hatte es nicht getan, weil sie ahnte, dass nichts Gutes darin stehen würde. Mit der Bank wollte sie nichts mehr zu tun haben. Sie war seit langem nicht mehr dort gewesen, nicht mehr seit dem Tag, an dem der Angestellte am Schalter ihr höflich, aber bestimmt mitgeteilt hatte, dass es wegen der rückständigen Tilgungsraten ein Verfahren geben werde und sie wegen ihres überzogenen Limits keine Barmittel mehr abheben könne. Schon davor hatte die Bank ihr geschrieben und ihr diverse Vorschläge unterbreitet, doch sie hatte alle Ausführungen über Prolongationen und Hypothekenfälligkeiten ignoriert. So lange die Rosen blühten, hatte sie Geld für ein paar Lebensmittel und den Strom, und was die Bank betraf, so konnte sie ohnehin nichts ändern. In der Folgezeit kamen weitere Briefe, doch die hatte Elinor gar nicht erst geöffnet.
Jetzt lagen die Briefe vor ihr, säuberlich zu einem Stapel aufgeschichtet. Elinor starrte sie an und dachte an das tapfere kleine Mädchen. Worte tauchten von irgendwoher auf und gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Es ist ein bisschen wie verzaubert...
Zögernd streckte Elinor die Hand aus und nahm den obersten Brief vom Stapel. Sie schlitzte das Kuvert auf, nahm den Briefbogen heraus und begann zu lesen.
*
Magnus legte die letzte Tasche in den Kofferraum und ging dann zu der Bank neben der Einfahrt, wo Emma auf ihn wartete.
»Komm, mein Schätzchen, lass uns nach Hause fahren.« Er schickte sich an, sie hochzuheben, doch sie hielt ihn zurück. »Mama ist nach Göteborg zurückgefahren. Sie hat mir alles gesagt.«
Magnus schluckte und wusste nicht, was er sagen sollte. Emma schaute ihn eindringlich an. »Werdet ihr euch wirklich trennen?«
»Ja, das ist wohl das Beste für uns.« Er hob resigniert die Schultern und setzte sich neben sie. Bedrückt betrachtete er über Emmas Kopf hinweg die knorrigen alten Bäume auf der kleinen grasigen Anhöhe vor der Zufahrt.
Er fragte sich, ob Britta ihr den wirklichen Grund genannt hatte oder ob sie den neuen Job vorgeschoben hatte. Sie hatte den Posten bekommen, es wäre ein Leichtes gewesen, vor Emma so zu tun, als wäre die berufliche Veränderung Schuld an den ganzen Umständen.
»Es tut mir Leid, dass du es so plötzlich erfahren musstest«, sagte er unbeholfen. »Ich hätte es dir lieber etwas schonender beigebracht.«
Unbehaglich schaute Magnus seine Tochter an, doch zu seiner Überraschung wirkte sie nicht sonderlich niedergeschlagen.
»Ich komme schon damit klar.« Ihre Gelassenheit hatte nichts Gekünsteltes. »Weißt du, ich mag Göteborg. Ich werde sie dauernd besuchen.«
Es dauerte einen Moment, bis bei Magnus der Groschen fiel, doch dafür mit umso mehr Getöse. Er unterdrückte nur mühsam einen Freudenschrei. »Soll das heißen, dass du...?«
Emma grinste. »Was hast du denn gedacht? Natürlich werde ich bei dir bleiben! Wir sind doch ein Team, oder?«
Magnus legte die Arme um sie und drückte sie fast grob an sich.
»Das sind wir.« Er hatte einen Kloß im Hals und konnte kaum sprechen. »Ich bin froh, dass ich dich habe.« Diese paar dürftigen Worte konnten nicht annähernd ausdrücken, was er tatsächlich empfand. Wenn es so etwas wie Glück überhaupt gab, so war es ihm in diesem Moment zuteil geworden.
»Jetzt wollen wir aber fahren.« Magnus hob seine Tochter mit Schwung von der Bank und trug sie zum Wagen.
»Was ist mit Marielund?«, wollte Emma wissen.
»Seit wann interessiert dich Marielund?«
»Mich vielleicht nicht so sehr. Aber dich.« Emma hob ihr Kinn und warf ihm aus nächster Nähe einen nachdenklichen Blick zu. »Du gibst auf, Papa? Das kenne ich gar nicht an dir.«
Magnus schaute sie verblüfft an, dann irrten seine Blicke ab und richteten sich in die Ferne. Er sah sich selbst als kleinen Jungen, in jenem traumgleichen letzten Sommer, den er zusammen mit seiner Mutter verbracht hatte. Er sah sie unter den Bäumen sitzen und lächeln. Sie war so glücklich gewesen, obwohl sie wusste, dass sie
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