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Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
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Dunkelheit zu schlafen. Sie bekam unweigerlich Albträume und wachte jedes Mal schweißgebadet daraus auf.
    Mondlicht fiel ins Zimmer und zeichnete die schmiedeeisernen Verzierungen am Fußteil des Bettes nach. Hanna folgte den geschwungenen Formen mit ihren Blicken und merkte, wie die Panik in ihr überhand zu nehmen drohte. Sie hatte Angst, aber sie wusste nicht, wovor.
    Erik war ebenfalls noch wach, sie hörte es am Rhythmus seines Atems. Er lag stumm neben ihr, wie sie auf dem Rücken, die Hände über der Brust gefaltet. Anscheinend dachte er ebenso intensiv nach wie sie selbst, nur dass sie nicht die geringste Vorstellung davon hatte, was ihm durch den Kopf gehen mochte.
    Das war früher ganz anders gewesen. Da hatte sie so genau gewusst, was er dachte, dass es manchmal beinahe schon unheimlich gewesen war. Erik hatte oft gelacht und behauptet, sie wäre die reinste Gedankenleserin. Wann hatte das aufgehört? Wie war es überhaupt dazu gekommen, dass sie diese geheimnisvolle Übereinstimmung, wie es sie zwischen allen Liebenden gibt, verloren hatten?
    Schon vor der Schwangerschaft war es nicht mehr dasselbe gewesen. Da war der Erfolg im Beruf, die vielen Überstunden. Sie hatte angefangen, mehr zu verdienen als er, und das, obwohl er so zäh seinen Weg am Gericht verfolgt hatte. Doch für einen Richter im öffentlichen Dienst wuchsen die Bäume nicht in den Himmel, auch wenn er noch so tüchtig war. Sie selbst hatte ebenfalls hart gearbeitet, aber bei ihr hatten sich die Erfolge rasch in klingender Münze ausgezahlt. Ihre preisgekrönten Entwürfe hatten ihr bestens bezahlte Aufträge in der Werbebranche verschafft, wodurch alle finanziellen Probleme, mit denen sie und Erik sich während des Studiums hatten herumplagen müssen, schlagartig der Vergangenheit angehört hatten. Ihr Konto hatte sich wie von selbst gefüllt, und plötzlich war alles möglich gewesen. Eine teure Eigentumswohnung, Designermöbel, die Miranda, ein neuer Wagen. Und dann war auf einmal eine Zeit gekommen, als Geld überhaupt keine Rolle mehr spielte, weder im positiven noch im negativen Sinne. Da war es nur noch um Erik und sie gegangen, oder besser darum, was sie einander noch geben konnten.
    Hanna starrte in die Dunkelheit und fragte sich, ob sie genug getan hatte, um ihre Beziehung zu erhalten. Das Baby war ihr damals als hervorragende Lösung erschienen, der schleichenden Entfremdung ein Schnippchen zu schlagen. Wenn sie erst eine Familie wären, würden sie von allein wieder stärker zusammenwachsen, so ihre Überlegung. Doch in der Schwangerschaft hatte Erik sich weiter von ihr entfernt als je zuvor. Die Überstunden und Wochenendseminare häuften sich, und in den beiden letzten Monaten war er an den Abenden kaum noch zu Hause gewesen. Auch nicht an jenem Abend, als...
    Hanna biss die Zähne zusammen. Sie wollte nicht daran denken. Es war vorbei, und es tat zu weh.
    Mit einem Seufzer wandte sie Erik ihr Gesicht zu. »Lass uns doch einfach morgen weiterfahren!«
    Seine Hand kam aus dem Dunkel und legte sich über ihre. »Ich weiß, dass du das alles so schnell wie möglich hinter dir lassen willst. Aber bitte sei doch jetzt nicht so ungeduldig.«
    Hanna lauschte seinen Worten nach und versuchte zu erkennen, ob er dasselbe gedacht hatte wie sie. Sie konzentrierte sich auf seine Hand, seinen Atem, seinen vertrauten Geruch, und suchte diese besondere, einmalige Schwingung, die seit Anbeginn ihrer Beziehung immer zwischen ihnen bestanden hatte.
    Doch alles, was sie fühlte, war Leere.

    *

    Auf dem Grasstreifen, der vom Haus zum Ufer des Sunds hin abfiel, lagen Findlinge, eine Ansammlung dicker, in Jahrtausenden rund geschliffener Felsblöcke, wie von der achtlosen Hand eines Riesen dort verstreut. Niclas saß auf einem davon und schaute über das Wasser. Mondlicht spiegelte sich schwach darin und überzog die schwarze Oberfläche mit einem mattsilbernen Schimmer. Die großen Föhren drüben beim Bootshaus wiegten sich im Wind und erzeugten ein flüsterndes Geräusch.
    Siv sah Niclas Rücken vor der Kulisse des Wassers, als sie aus dem Haus kam. Es gab ihr einen Stich, ihn dort sitzen zu sehen. Damals nach Silkes Tod hatte er auch fast jeden Abend dort vorn auf den Felsbrocken gehockt und aufs Wasser gestarrt, als könnte er irgendwo da draußen ein Heilmittel für seinen Schmerz finden. Sie hasste es, dass er sich ständig für alles und jedes die Schuld geben musste, und sie konnte es nicht ertragen, dass er immer wieder in diese

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