Sehnsüchtig (German Edition)
schmecken, spürt noch seine Lippen auf ihren, drängend, seine Hände in ihrem Haar. Er ist erst vor wenigen Minuten gefahren, aber sie fühlt sich bereits einsam. Sie wirft einen Blick in den Spiegel im Flur. Vom Lippenstift ist nicht viel übriggeblieben. Von Eliot ist ihr auch nicht viel geblieben. Sie weiss nicht, wann sie ihn zum nächsten Mal sehen wird. Vielleicht übermorgen – an der ‚Rock’n’Roll Star’-Party. Sie steht auf der Gästeliste. Aber sie weiss noch nicht, ob sie hingehen will. Oder kann. Irina wird auch da sein, und alleine beim Gedanken an diese Begegnung wird ihr übel. Vielleicht hat er es ihr bis dahin bereits erzählt? Sie weiss nicht, ob er es Irina sagen wird. Aber ihr Gefühl sagt „Ja, er hat es ihr gesagt. Er sei kein guter Lügner und eigentlich für Ehrlichkeit. Sie weiss nicht, wie sie Irina ins Gesicht sehen soll – egal, ob sie es nun weiss oder nicht. Sie weiss auch nicht, wie sie darauf reagieren soll, die beiden als Paar zu sehen. Beim Gedanken daran erfasst sie ein hässliches Gefühl. Sie weiss im gleichen Moment, dass es Eifersucht ist. Heftige Eifersucht auf die Frau, die zu Eliot gehört, seit zehn Jahren, die ihm eine Tochter geschenkt hat, die er über alles liebt. Du hast keine Chance, mit ihr zu konkurrieren. Das kannst du nicht. Und das willst du nicht, fügt die Stimme in ihrem Kopf hinzu. Du willst das gar nicht. Aber du willst ihn . Ich will Eliot. Jetzt und ganz. Und für mich.
In ihr kommen Gefühle hoch, die sie in letzter Zeit viel zu oft begleitet haben. Ich bekomme keine Luft mehr. Nicht weinen. Nicht jetzt und nicht schon wieder. Sie wischt sich mit dem schwarzen Ärmel über das Gesicht und geht durch den Flur. Mach etwas. Irgendetwas, damit du hier nicht durchdrehst und dir die Decke auf den Kopf fällt. Sie geht ins Schlafzimmer, legt die Reisetasche aufs Bett und öffnet das Fenster. Sie macht das gleiche in der Küche und im Wohnzimmer. Dann schaltet sie ihren Arbeits-iMac ein, um die Mails zu checken und die Abwesenheitsmeldung auszuschalten. Es flattert nur Junk in ihren elektronischen Briefkasten, krude Versprechen irgendwelcher „chinesischer Top-Banker“, die ihr das Geschäft ihres Lebens garantieren, wenn sie nur ihre Kontodaten zur Verfügung stellt. Werbung für die blauen Tabletten. „So besorgen Sie es ihr die ganze Nacht.“ Die letzte Nacht kommt ihr in den Sinn, aber das Wort im Mail klingt hässlich.
So war es nicht. So war es nicht mit Eliot. Mit ihm fühlte es sich anders an. Natürlich war es nur Sex, aber es fühlte sich nach mehr an: nach Liebe. Und das ist es auch, auf jeden Fall. Auf jeden Fall für mich. Der Gedanke daran, dass es für ihn nur Sex gewesen sein könnte – Dampf ablassen, andere, fremde Haut spüren – bereitet ihr Übelkeit. Er sagte ihr, es sei mehr als das. Aber er wusste auch nicht, was es sonst sein könnte. Er hatte ihr versprochen, darüber nachzudenken. Er hatte ihr versprochen, sich zu melden. „Sobald ich kann“, hatte er vorhin im Auto gesagt. Und sie glaubt ihm, aber sie fühlt sich trotzdem nicht besser. Jetzt steckst du doch in der Rolle, die du nicht haben wolltest. Die andere Frau, die warten muss, bis er Zeit hat, bis er sich entschieden hat, wie es weitergehen soll. Die Geliebte. Sie hat solche Frauen immer verabscheut . Jetzt bin ich eine von ihnen. Sie drückt heftig auf „Löschen“.
Das Geräusch der Türklingel schallt durch die Wohnung und erlöst sie von ihrem Gedankensturm. Sie ist froh, zur Tür gehen zu können. Sie merkt, in dem Moment als sie die Tür öffnet, wie sehr sie die kleine Person dahinter in den letzten Wochen vermisst hat. Die Glitzeraugen und das breite Lächeln von Mascha verschwinden plötzlich als sie das Gesicht von Alys studiert. „Du siehst furchtbar aus“, rutscht es ihr über die Lippen. „Danke. Was für eine Begrüssung“, gibt Alys zurück. „Ach, du weisst, dass ich es nicht so meine.“ Sie betont das „so“. „Ich meine, du siehst geschafft aus, oder traurig.“ Sie kneift die Augen zusammen. „Hast du geweint?“
„Nein“, sagt Alys rasch. Hat sie ja auch nicht. Aber fast. Und ihr hätte klar sein müssen, das Mascha ihr von weitem ansieht, dass etwas nicht stimmen kann. Und sogleich kommt die Frage, vor der sich Alys gefürchtet hat: „Was ist los?“
„Nichts“, lügt sie halbherzig. Mascha nimmt ihr kein Wort ab. Aber sie scheint beschlossen zu haben, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. „Du hast mir
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