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Sehnsüchtig (German Edition)

Sehnsüchtig (German Edition)

Titel: Sehnsüchtig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne Woodtli
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auf „Annehmen“ und öffnet das Profil ihrer 187. Facebook-Freundin. Es sind immer noch vergleichsweise wenig. Sie nimmt Mascha regelmässig hoch – die hat längst die 600er-Marke geknackt. „Wer sind all diese Leute?“, hat sie auch schon gefragt, „ich habe jedenfalls alle meine knapp 200 Freunde schon persönlich getroffen.“ Mascha nimmt den Spott jeweils gelassen entgegen.
    Irina Agren strahlt auf ihrem Profilbild. Es ist in New York aufgenommen worden, im Hintergrund steigt das Empire State Building in die Höhe. Wahrscheinlich stand sie auf der Aussichtsplattform des Rockefeller Centers als die Aufnahme gemacht wurde. Sie sieht glücklich aus, das Haar vom Wind verwirbelt, das Licht betont ihre himmelblauen Augen.
    Es ist wenig Privates auf ihrem Profil zu finden. Keine Fotos von Eliot oder der gemeinsamen Tochter. Sie scheint es hauptsächlich zu benutzen, um mit Berufskollegen und Kunden zu kommunizieren. Das aktuellste Bild, das sie gepostet hat, fällt Alys sofort ins Auge. Pfingstrosen in einer Vase. Der Strauss, den Eliot mit ihrer Hilfe ausgesucht hat.
     
    *
     
    „Schnecke, du siehst aus wie ein Gespenst“. Mascha kneift die Augen zusammen und mustert Alys auf dem Bildschirm. Wenn beide viel zu tun haben – so wie jetzt in dieser zweiten Dezemberwoche – und ein ausgedehnter Kaffeeklatsch im ‚Lila’ ausfallen muss, dann ist ein Videochat via Skype die Lösung.
    „Charmant wie immer“. Alys steckt Mascha andeutungsweise die Zunge raus und räumt weiter ihren Schreibtisch auf. „Es stimmt aber ...“, sagt Mascha und schaufelt sich eine Gabel Salat in den Mund. Sie hat gerade Mittagspause und nutzt die Ferienabwesenheit ihres Bürokollegen für den Video-Chat mit Alys. „... es ist nicht so schlimm, ich habe einfach etwas wenig geschlafen.“
    „Du siehst aus, als hättest du seit Tagen gar nicht geschlafen ...“ Mascha betont das „gar nicht“, greift nach ihrer Espresso-Tasse und leert sie in einem Schluck.
    Alys stellt zwei Zeichenstifte zurück in den Bleistiftbecher. „Du arbeitest zurzeit doch auch so viel. Und du siehst trotzdem aus wie das blühende Leben, das ist unfair!“, mault sie. Mascha grinst. „Willst du mir nicht mal dein Geheimnis verraten?“ Alys lässt ihre Stimme schmeichelnd klingen. „Das ist ganz einfach ...“, Mascha deutet mit unsichtbaren Schlägern einen Trommelwirbel an. „das Geheimnis heisst .... tata ... Schlaf!“
    „Schon gut“, sagt Alys und winkt ab.
    „Nein, ehrlich! Warum arbeitest du nicht tagsüber und schläfst nachts wie jeder normale Mensch auch?“
    „Ich arbeite tagsüber“, wehrt Alys ab. „Ich bin nur nachts auch kreativ – wenn nicht sogar kreativer, das lässt sich nun mal nicht steuern ...“
    „Woran bist du denn?“
    „Die Entwürfe für das CD-Booklet: 13 Songs und zu jedem eine Illustration. Dazu eine für das Cover, die Rückseite und den Innenteil. Alles ist angelehnt an den Stil der Surrealisten, insbesondere an René Margritte, und die Illustrationen müssen natürlich irgendwie die Botschaft oder den Inhalt des jeweiligen Songs transportieren.“ Sie greift nach der Cola-Dose und nimmt einen Schluck . Mein Zahnarzt wird mich hassen. Oder vielleicht wird er mich auch lieben, weil ich sein Cabrio mitfinanziere.
    „Boah“, macht Mascha. Alys lacht. „Verstehst du jetzt, warum ich zurzeit nicht besonders gut schlafe?“
    „Ja, doch“, gibt Mascha zu.
    „Siehst du ...“, sagt Alys. „Gehen wir heute Abend aus? Ich muss mal aus dem Haus, vielleicht kommen mir dann weitere Ideen. Eliot will zu jedem Song mindestens zwei Vorschläge.“
    „Ich bin dabei, obwohl ich dir lieber eine Schlaftablette verabreichen und dich höchstpersönlich ins Bett zerren würde. Apropos ins Bett zerren, hast du etwas von Ja ...“
    „Hab ich nicht“, sagt Alys bevor Mascha den Namen beenden kann.
    „Ist auch besser so“, hält Mascha fest.
    „Wahrscheinlich, ich hab gar keine Zeit, um ihn zu vermissen“. Das Geräusch der Türklingel schallt durch die Wohnung. Alys blickt über die Schulter zur Tür. „Es hat geklingelt, warte rasch, das ist wahrscheinlich irgendein Sektenvertreter, der mein Seelenheil retten will.“
    „Hau ihn von mir!“
    Alys grinst. „Wenn du die Gerichtskosten zahlst. Du kannst ja deine Balenciaga-Tasche dafür verpfänden.“
    „Nie im Leben“, klingt es entrüstet. „Bis gleich“, sagt Alys und geht davon.
    Sie wirft einen Blick in den Spiegel im Flur. Vielleicht hat Mascha doch Recht,

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