Sehnsüchtig (German Edition)
zu fallen, zu atmen. Dann zwingt sie einen professionell-freundlichen Ausdruck auf ihr ebenmässiges Gesicht. „Hallo“, sagt Alys kühl und streckt ihre Hand aus. „Alys.“ Jennifer greift nach ihrer Hand. Sie sieht überfordert aus. Das geschieht dir Recht. Sie bedenkt Jennifer in Gedanken mit ein paar sehr wenig schmeichelhaften Worten. „Freut mich. Du musst Eliots Verlobte sein ...“ Alys lächelt sie an, aber sie weiss, dass es ihre Augen nicht erreicht. „Nein“, sagt sie dann, „aber ich kenne sie.“ Ihre Stimme ist höflich, aber kühl. Sie lässt Jennifer wissen, dass sie alles gesehen hat. „Wollen wir gehen?“, fragt sie Eliot, „alle anderen sind schon weg.“
Er nickt und nimmt den letzten Schluck Whiskey. „Auf Wiedersehen, Jennifer. Lass mich wissen, wann Wolf Kebel mich treffen will ...“ Jennifer Bürli nickt. Sie sieht immer noch etwas ungläubig aus. „Das mach ich gerne. Auf Wiedersehen.“ Dann stöckelt sie davon. „Also, was ihren Arsch angeht, hatte Raoul recht“, meint Eliot. Alys blickt ihn etwas entrüstet an. Aber sie weiss nicht, ob er das sehen kann. „Sie ist sehr schön“, sagt sie dann widerstrebend.
„Schön langweilig. Oder langweilig schön. Ich glaube, ich bin betrunken.“
Alys lacht. „Du glaubst?“ Er furcht die Stirn als müsse er darüber nachdenken. „Ich mag keine langweilig schönen Frauen“, fügt er dann hinzu. „Ich mag intelligent schöne Frauen. Interessante Frauen, du weisst schon. Keine Puppen.“ Er braucht eine ganze Weile um diesen Satz zu formulieren. Aber der Satz gefällt ihr. Ihr fällt ein, was Mascha damals im ‚Café Lila’ gesagt hatte: „Irgendwie glaube ich, dass Eliot Wagner nicht auf 0815-906090-Wimperklimper-Tussi-schön abfährt, auch wenn ganz viele solche Mädchen in der Schlange standen im ‚Mon Amour’ ...“ Und wieder einmal hatte Mascha recht behalten.
„Intelligente, schöne Frauen. Mit Charakter. Wie Irina ...“ Sein Blick kehrt sich nach innen. Alys ist plötzlich stolz auf ihn. Er hat Jennifer Bürli widerstanden. Eine Frau, die von den Modezeitschriften lächeln könnte, die sie gerne liest.
„ ... oder wie du.“
„Was hast du gesagt?“, liegt ihr auf der Zunge. Aber sie ist nicht betrunken genug, um sich verhört zu haben. Er hat sie eben als intelligent, schön und mit Charakter bezeichnet. Und gesagt, dass sie ihm gefällt. Anscheinend. In vino veritas? Oder in Whiskey Veritas, besser gesagt . Plötzlich ist alles vergessen, was heute Abend schief gelaufen ist: Ihre Sorge um ihn; ihre Wut auf Mascha; ihr Mitleid mit Frederic. Eliot Wagner hat gesagt, dass er sie gut findet. Zwar betrunken, aber was soll’s. Er findet mich gut. Alys wird euphorisch. 2012 beginnt gut. „Komm mit“, meint sie dann. Ich wollte das schon lange mal zu dir sagen. Und er gehorcht. Tatsächlich. Er klettert umständlich vom Barhocker und gerät dabei ins Wanken. „Shit, ich seh alles doppelt.“ Wohl eher dreifach. Sie zögert, dann greift sie nach seiner Hand. Was ist schon dabei, er kann ja kaum mehr gerade stehen. Sie lotst ihn durch die Bar und er lässt ihre Hand nicht los. Seine Hand fühlt sich gut. Sie ignoriert den Gedanken und kramt mit der freien Hand in ihrer Jackentasche nach dem Handy. Draussen ist es kalt. Sie hilft Eliot in die Jacke, die er hinter der Bühne hat liegen lassen. Sie ruft die Taxihotline an. Das Taxi kommt einige Minuten später. Sie verfrachtet Eliot auf den Rücksitz und steigt selbst ein. Nennt dem Taxifahrer die Adresse: „Magnolienstrasse 14.“ Eliots und Irinas Adresse. Der Taxifahrer nickt und fährt los. Eliot schliesst die Augen und lässt seinen Kopf schwer gegen ihre Schulter sinken.
IRINA UND DER GROSSE KATER
Von irgendwoher kommt Paolo Nutinis Stimme. Er singt ‚Candy’. Sie liebt dieses Lied, aber im Moment versucht sie es zu ignorieren. Er singt immer noch. Sie stöhnt. Warum? Es ist mitten in der Nacht. Sie tastet nach Eliot aber das Bett neben ihr ist leer. Leer und viel zu gross. Wie immer, wenn er nicht da ist. Dann fällt ihr ein, dass Silvester ist und er immer noch in der ‚Wunderbar’ sein muss. Paolo Nutini singt unbeirrt weiter. Das muss ihr Handy sein. Ihre Lider wiegen schwer, aber sie schafft es irgendwie, die Augen aufzumachen.
Das Handy vibriert auf dem Nachttisch vor sich hin. Sie findet den Schalter der Nachtischlampe. Das Licht ist grell und sie kneift erbost die Augen zusammen. Der Wecker sagt, es sei kurz nach vier. Sie war um zwei
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