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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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– »Doch!«, sagte ich. »Man kann das nicht unwidersprochen lassen. Ein Mann, dessen jüdischer Vater im KZ umgebracht wurde, wird ausgebürgert. Das haben die Nazis früher gemacht. Das geht nicht.« Anna fragte: »Kann ich es noch meinem Mann zeigen?« Als sie ging, wusste ich, die Sache ist gelaufen, und telefonierte schon nach einem Taxi. Sie kam zurück und sagte: »Er sagt auch, das hättet ihr nie an die ausländische Presse geben dürfen.« Ich antwortete: »Aber Anna, das wäre doch hier nie erschienen!«
    GW     Danach sollten wir immer bekennen, es sei ein Fehler gewesen, dass wir den Brief einer »feindlichen Agentur« gegeben hätten. Und ich sagte: »Na gut, aber sonst wäre er gar nicht an die Öffentlichkeit gelangt.«
    CW     In der ersten Zeit sollten wir alles zurücknehmen. Als sie merkten, dass wir nichts zurücknahmen, sollten wir nur noch sagen: Es war ein Fehler. Die Parteigruppe im Schriftstellerverband wollte unbedingt nach oben melden: Ja, sie haben alle zugegeben, es war ein Fehler. Aber auch dazu kam es nicht. Das Ganze zog und zog sich hin.
    GW     Und dann fiel Hermlin auf Honeckers diplomatische Taktik herein.
    CW     Leider ja. Als Hermlin uns das erzählte, erbleichten wir.
    GW     Honecker hatte ein Schreiben verfasst, in dem stand: »Es war ein Fehler, das Protestschreiben einer westlichen Nachrichtenagentur zu geben.« Hermlin änderte: »Es war mein Fehler.« Der Brief wurde uns nun allen vorgelegt mit den Worten: Wenn der Hermlin das sagt, könnt ihr das auch sagen! Hermann Kant meinte zu mir: »Selbst Hermlin hat zugegeben, dass es ein Fehler war, dann kannst du es doch auch einsehen.« Es ging nur noch um diese blöde Formalität. Ich antwortete: »Na, wartet erst einmal ab, man weiß gar nicht, ob das ein Fehler war. Man muss doch erst einmal sehen, wie der Biermann sich entwickelt.« Das wollten die nun gar nicht hören. Später meinte Kant zu Stephan Hermlin: »Da hat sich der Wolf mit seinem Stuhl richtig in die Erde gebohrt.«
    CW     Einmal gab es uns, die zwölf Erstunterzeichner des Protestbriefes gegen die Ausbürgerung, und dann gab es die, die später unterzeichnet hatten, neben Künstlern und Intellektuellen auch Studenten in Jena und anderswo. Die wurden zum Teil sehr viel härter verfolgt als wir. Weil wir prominenter waren, traute man sich an uns nicht so heran. Andere wurden entlassen oder verhaftet. Und dann gab es die, die wirklich dachten, wir seien nun Gegner. Sie griffen uns auf Versammlungen an, warfen uns vor, wir seien Konterrevolutionäre. Dann gab es noch eine weitere ziemlich große Gruppe von Leuten, die ein ganz schlechtes Gewissen hatten. Die eigentlich auch unterschreiben wollten, es aber aus Feigheit oder anderen Gründen nicht getan hatten. Ich konnte gut verstehen, dass jemand seine Arbeit nicht verlieren mochte. Wir nahmen das niemandem übel, aber die nahmen es sich selbst übel. Manche von denen konnten es sich selbst nicht verzeihen.
    JS     Kurz nach eurem Protestbrief wurdest du, Opa, aus der Partei ausgeschlossen und Oma nicht. Wieso?
    GW     Ich geriet in die erste Gruppe hinein. Christa wurde vor dieser Versammlung in der Parteigruppe des Schriftstellerverbandes nach Hause geschickt, weil sie einen Herzanfall hatte. Günter Kunert 103 wurde auch nach Hause geschickt. Die beiden wurden später abgehandelt. Christa hätte aus der Partei austreten müssen, aber das wollten die nicht. Das war eine richtige Taktik.
    JS     Das verstehe ich nicht: Oma wollte aus der Partei austreten, aber die Partei ließ sie nicht gehen?
    GW     Honecker wollte Stephan Hermlin und sie nicht ausschließen.
    CW     Jedes Mal, wenn ich vor der Parteikommission erschien, sagte ich: »Ich habe dasselbe gemacht wie mein Mann. Ich bin nach wie vor derselben Meinung und möchte ausgeschlossen werden.« Dann sagten die: »Nun beruhige dich mal!« Ich bekam eine strenge Rüge, aber sie schlossen mich nicht aus. Also hätte ich selbst direkt austreten müssen. Gerd und ich überlegten gemeinsam, ob ich das machen sollte. Aber dann hätten wir wahrscheinlich die DDR verlassen müssen.
    JS     Das wäre die einzige Alternative gewesen?
    CW     Wahrscheinlich. Wir wollten eigentlich nicht weggehen. Da kam Walter Janka zu uns und sagte: »Man tritt nicht aus der Partei aus, man lässt sich ausschließen, wenn es so weit ist.«
    JS     War das für eure Beziehung nicht schwierig, dass der eine ausgeschlossen wurde

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