Sei gut zu dir, wir brauchen dich
er dabei jedoch übersieht: Seine Mandantin ist eine Persönlichkeit,
die sich von ihm noch etwas anderes erwartet als juristische Beratung. Sie möchte vor allem von ihm beruhigt werden, denn
sie fühlt sich persönlich bedroht.
Deshalb ist es ihr wichtiger, dass Robert, statt perfekte Schreiben zu formulieren, sie menschlich ein wenig an die Hand nimmt
und ihr signalisiert: »Machen Sie sich keine Sorgen, lassen Sie sich davon nicht aus der Ruhe bringen, das kriegen wir schon
hin, Sie werden sehen, am Ende wird alles gut, am Ende sind Sie die Gewinnerin.«
Auf die Idee, sie am Telefon oder bei ihren Besuchen auf diese Weise zu betreuen, kommt Robert nicht. Er hat die psychische
Belastung seiner Mandantin nicht registriert, denn dafür war er nicht empfänglich. Dabei wäre es genau die Art von Zuwendung
gewesen, die sie sich gewünscht hätte – ein tatkräftiger Anwalt, der ihr die Angst nimmt, etwas zu verlieren und ihr die nötige
Ruhe für ihre Arbeit und damit für ihr Leben ermöglicht.
|151| Das fatale Ende von Roberts Unaufmerksamkeit: Die Mandantin fühlt sich nicht mehr gut aufgehoben. Sie will mit dem Geschäftsführer
der Kanzlei sprechen, da sie diesem noch vertraut, doch der ist leider im Urlaub. Weil die Streitigkeiten sich zuspitzen und
sie sich emotional allein gelassen fühlt, erteilt sie Hals über Kopf einer anderen Kanzlei die Vollmacht, sie zu vertreten.
Robert handelt sich dadurch eine Menge Ärger ein, sein Einstand bei seinem neuen Arbeitgeber ist nicht gelungen. Er fragt
sich, was er in diesem Fall nicht mitbekommen hat.
Die Antwort erhält Robert Wochen später, als wir die Situation analysieren. Um ihm vor Augen zu führen, wie er auf seine Klientin
gewirkt haben muss, verwende ich das bekannte Bild der drei Affen, die sich Ohren, Augen und Mund zuhalten. Zudem berichte
ich ihm von Studien, die belegen, dass nur circa 7 Prozent des Gesprochenen zwischen Gesprächspartnern als faktische Botschaft
gewertet wird. Den Rest an Information bezieht jeder Mensch aus Informationen wie etwa der Stimmlage, Mimik oder der Gefühlsverfassung
seines Gegenübers – ob der andere auf einen eingeht oder nicht, ob er sich offen verhält oder verschlossen, ob er einen anschaut
oder vorbeisieht. Natürlich spielt es eine Rolle, ob man telefonisch in Kontakt tritt oder sich gegenübersitzt, ob man im
hektischen Alltag nur ganz schnell Informationen austauscht oder Zeit für ein ausführliches Gespräch hat. Dennoch ist unbestritten,
dass der Erfolg einer Kommunikation in großem Maße davon abhängt, dass die, die da miteinander reden, auch einen Sinn für
die leisen und versteckten Signale ihres Gegenübers besitzen – dass sie die feinen Schwingungen erkennen, die mitgesendet
werden, und diese richtig deuten und dass sie in der Lage sind, entsprechend darauf zu reagieren. Schließlich erkennt Robert,
dass er viel mehr darauf achten muss, zu Menschen auch auf intuitiver Ebene Kontakt herzustellen und nimmt sich vor, zukünftig
mehr auf die Worte hinter den Signalen zu achten.
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|152| Mehr mitbekommen bedeutet mehr gewinnen
Sein Fall steht für viele, die ich in meiner Coachingpraxis erlebt habe. Er zeigt auf, dass uns das Leben in einer kopflastigen
Welt alle dafür anfällig macht, bei der Urteilsbildung die rationalen den intuitiven Messdaten vorzuziehen, weil wir ihnen
mehr trauen. Wir merken zwar, dass häufig noch etwas anderes außer dem Verstand beteiligt ist, und auch, dass unser Bauch
manchmal etwas völlig anderes will, als das, was wir uns ausgedacht haben. Doch lassen wir uns nur selten vom rationalen Kurs
abbringen und setzen meist das durch, was der Kopf uns befiehlt.
Sich von Gefühlen leiten zu lassen, scheint vielen ein zu archaisches Vorgehen, um unsere tägliche Wirklichkeit voller moderner
Kommunikationsmittel bewältigen zu können. Daher vertraut das Gros der Menschen mehr der Macht des Verstandes und trainiert
ausschließlich die linke Gehirnhälfte – jene Seite, die für logisches Denken steht. Man eignet sich Methoden an, wie man eine
Sprache schneller lernen oder Fakten besser behalten kann und legt sich Passiv-Lernprogramme unters Kopfkissen. Das mag alles
hilfreich sein, wenn wir uns geistig fit halten wollen, allerdings dürfen wir unsere Bemühungen um geistige Power nicht an
diesem Punkt beenden. Wir müssen auch unsere rechte Hirnhälfte ansprechen, sie anregen, anhören und
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