Sei lieb und büße - Thriller
»Beschissen?«
»Megabeschissen.«
Max nickt. »So wird er sich auch gefühlt haben an dem Tag.«
»Rik?« Sina möchte Max am liebsten packen und schütteln. »Warum denn? Im Training war er jedenfalls gut drauf und danach wollte er sich mit mir treffen. Er hat mich geküsst und –«
»Echt?« Max starrt sie ungläubig an.
»Ja! Echt!«, ruft Sina aus. »Stinke ich? Bin ich so hässlich? Oder wieso glaubst du mir nicht, dass zwischen Rik und mir was war?«
»Das habe ich nie behauptet. Ich wundere mich nur.«
»Und wieso wunderst du dich? Du hast die SMS doch gelesen.« Sina hält ihm das Handy provokant unter die Nase.
»Weil ich nicht einmal Frederik für so pietätlos gehalten hätte, sich ausgerechnet an diesem Tag ’ne Neue aufzureißen.« Er hebt abwehrend die Hände. »Bevor du gleich wieder aufgehst wie ein Hefebrötchen – ich meine das nicht persönlich. Es geht ums Prinzip. Und natürlich um Mia.«
»Mia? Wer zum Kuckuck ist Mia?«
»Ist das dein Ernst? Du weißt nicht, wer Mia ist? Hast du im Koma gelegen?« Er wirft einen Blick auf Frederik. »Entschuldigung, das war unpassend. Aber jeder hier weiß, wer Mia ist.«
»Ich bin nicht von hier.« Sie steckt das Handy in die Hosentasche zurück.
Max mustert sie von oben bis unten. »Stimmt … So läuft hier sonst keiner rum.«
»Was soll das denn heißen?«
»Ich meine damit nur«, sagt Max bedächtig, »dass du nicht die übliche Kranbacher Spießeruniform trägst.«
»Und die wäre?«
»Sicher keine Hose mit einem Muster, das einen drogenfrei in einen psychedelischen Traum schickt. Was ist dein Motto? Bunt, bunter, Sina?«
»Schau dich doch selbst an«, schießt Sina zurück. »So einen dämlichen Hut habe ich überhaupt noch nie gesehen.«
Er tippt an die Krempe und grinst. »Du solltest mal meinen Sonntagshut sehen.«
»Jetzt lenk nicht ab. Wer ist Mia?«
»Frederiks Freundin.«
Sinas Kinnlade klappt nach unten. Ihre Hände suchen an ihrem Top Halt.
»Verstorbene Freundin, um präzise zu sein.« Max schließt den Spind und dreht sich zu Sina um. »Die Frage müsste also korrekt lauten: Wer war Mia?«
Sina schnappt nach Luft. Weshalb weiß sie nichts davon?
»Und der Tag, an dem er seinen durchaus ungewöhnlichen Unfall hatte, war Mias erster Todestag, nachdem sie sich vor einem Jahr umgebracht hat. Zufällig weiß ich, dass er am Grab war und ein aussagekräftiges Blumengesteck hinterlassen hat. Du magst mir also verzeihen, wenn ich mich über sein Timing für euer erstes Date etwas wundere. Nach dem zu urteilen, was ich mitbekommen habe, war er nämlich alles andere als gut drauf. Und als ich von dem Unfall gehört habe, war mein erster Gedanke: Shit, das schlechte Gewissen hat gewonnen, Freddyboy hat sich selbst gerichtet.«
»Du hast an Selbstmord gedacht?«
»Auf alle Fälle wahrscheinlicher, als dass Freddy auf seiner Stammstrecke die Kontrolle über sein Rad verliert. Dass das nicht passiert wäre, wenn er im Vollbesitz seines Denkorgans gewesen wäre, wissen wir beide. Also, ich zumindest. Du weißt ja nicht mal, wer Mia war.« Unvermittelt hebt er den Hut. »Ich muss los. Hat mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen.«
Wie benommen läuft Sina die Straße entlang. Es ist viel zu spät, ihre Mutter hat schon drei Nachrichten auf ihrer Mailbox hinterlassen, doch Sina hat keine Lust, zurückzurufen, keine Lust, gegen ihre Vorwürfe anzukämpfen. Sie wird sie früh genug zu hören bekommen. Jetzt braucht sie erst einmal Zeit, um Max’ Worte in Ruhe zu verarbeiten, um zu verstehen, was diese Informationen für sie bedeuten.
Frederiks Freundin hat vor einem Jahr Selbstmord begangen. An dem Tag seines Unfalls.
Unfall? Oder hat er …
Der Gedanke ist so ungeheuerlich, dass Sina vor ihm zurückschreckt.
Selbstmord. Frederiks Freundin.
Warum soll Frederik ein schlechtes Gewissen deswegen haben? Hat sie sich seinetwegen getötet? Weil er sie verlassen hat? Oder hatte sie Probleme in der Schule? Mit den Eltern? Waren Drogen im Spiel?
Sina läuft an der Bushaltestelle vorbei und am Stadtpark, an der Feuerwehr und am Abenteuerspielplatz und erreicht schließlich den Eingang des Friedhofs. Das Tor ist noch offen, doch auf einer großen Messingplatte liest Sina, dass er gleich schließen wird. Sie beäugt das hohe Eisengatter und schätzt die Streben und Verzierungen auf ihre Besteigbarkeit hin ab. Dann betritt sie entschlossen das Gelände.
Sie hat keine Ahnung, wo Mias Grab liegen könnte. Erster Todestag. Ein
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