Sei lieb und büße - Thriller
rechte Hand umfasst das kühle Emaille des Wannenrands. Wovon redet Laureen nur? »Ich glaube, ich komme nicht mehr mit. Was für eine Strafe?«
»Rik hat über ihren Bruder das Gerücht verbreitet, dass er schwul sei. Deshalb hat Clemens damals sein Studium geschmissen und Kranbach von heute auf morgen verlassen.«
»Was hat das mit Riks Tod zu tun?«
»Nun, du selbst hast den Verdacht geäußert, dass jemand den Unfall verursacht haben könnte. Was, wenn es Tabea gewesen ist? Am Tag des Unfalls wollten wir mit ihr abends Bio lernen, aber sie hatte keine Zeit, weil sie angeblich mit ihrer Facharbeit anfangen wollte. Als wir sie dann später noch mal angerufen haben, war ihre Mom dran und war ganz verwirrt, weil sie dachte, Tabea wäre bei mir. Und am Tag vor Riks Tod war sie im Krankenhaus. Sie war dabei, als er aufgewacht ist. Was, wenn sie etwas mit dem Unfall zu tun hat und feststellen musste, dass Rik sich daran erinnert?«
Die beigen Fliesen verschwimmen zu einer glatten Fläche. Sina gleitet vom Wannenrand zu Boden. Tabeas bleiches Gesicht, als sie ihr von Riks Tod erzählt hat, erscheint vor ihren Augen. Sie hatte sich über Tabeas Reaktion gewundert, war aber zu sehr mit ihren eigenen Gefühlen beschäftigt gewesen, um sich darüber Gedanken zu machen. Tabeas Reaktion schien zu emotional für ihre Beziehung zu Rik, auch wenn er früher ihr Schwarm gewesen war. Sie hatten sich seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Warum also eine so starke Gefühlsregung? Steckte vielleicht mehr dahinter? Gab es etwas zu verbergen? Schuldgefühle?
»Hallo, Sina? Bist du noch da?«
»Ja.«
»Hör zu, wir wissen natürlich nichts Genaues, und bitte, krieg das jetzt nicht in den falschen Hals, wir sind sicher, dass Tabea nichts mit Riks Tod zu tun hat. Ich meine, hey, Tabea ist unsere Freundin! Wir machen uns einfach Sorgen. Vielleicht steckt auch gar nichts dahinter und sie ist wirklich nur von seinem Tod erschüttert. Du weißt ja, dass sie mal in ihn verliebt war. Wir dachten nur, wir sagen dir Bescheid, dann kannst du mit darauf achten, ob sie sich anders verhält als sonst.«
»Klar.« Sina räuspert sich. Was ist nur mit ihrer Stimme los? »Klar, mach ich.«
»Also, es wäre toll, wenn du uns informierst, falls dir was auffällt oder Tabea eine seltsame Bemerkung fallen lässt.«
»Mach ich.«
»Super. Danke, das erleichtert mich. Dann bis morgen. Du kommst doch wieder in die Schule, oder?«
»Ich denke schon.«
Sina legt das Telefon neben sich auf den flauschigen Badvorleger. Und jetzt? Ob Laureen sich bewusst war, was sie da gerade gesagt hat? Tabea hat am Tag von Frederiks Unfall Bessy und Laureen als Alibi vorgeschoben, um abends aus dem Haus zu können. Sie beschuldigt Frederik, das Leben ihres Bruders zerstört zu haben. Ob das die krasse Sache war, von der Frederik gesprochen hat? Weil es nicht wahr ist? Und dann der Unfall. Und ausgerechnet am nächsten Tag hat Tabea sich das erste Mal mit ihr unterhalten. Zufall? Oder Berechnung? Wegen eines Referats, das sie bereits mit Laureen gemacht hatte. Warum? Weil sie wusste, dass Frederik und sie sich treffen wollten? Weil sie dachte, Rik hätte ihr etwas erzählt, was sie in Schwierigkeiten bringen könnte?
Sinas Gedanken flattern wie aufgescheuchte Vögel durch ihren Kopf, doch sie findet keine Antwort. Keine Antwort auf die Frage, ob Tabea sie tatsächlich so hintergangen haben könnte.
Ben schläft noch keine Viertelstunde, als es läutet. Sina läuft zur Wohnungstür und bedient die Gegensprechanlage. »Hallo?«
»Max hier. Kann ich hochkommen?«
Zu verblüfft, um nachzudenken, betätigt Sina den Summer, hört, wie Max die Haustür aufdrückt und die Stufen heraufhastet.
»Hast du kurz Zeit?«
»Kurz. Ich muss noch Hausaufgaben machen.«
»Gut, ich beeil mich.« Er folgt Sina in die Küche und setzt sich auf den Stuhl, den sie ihm anbietet.
»Ich komme wegen Rik. Seine Mutter hat mich gebeten, seine CDs und Bücher an Menschen zu verteilen, die ihm besonders wichtig waren. Und du gehörst da auf jeden Fall dazu.«
»Ich?«
»Du warst seine letzte Freundin.«
»Was du angezweifelt hast.«
Max macht eine entschuldigende Handbewegung. »Tut mir leid. Aber ich weiß, dass er dich sehr gern hatte.«
»Woher?«
»Ich hab mir seinen Kalender angesehen. Dein Name steht darin, zweimal unterstrichen. Das heißt bei Rik –« Max bricht ab, trommelt mit seinen Fingerspitzen auf den Oberschenkel, als suche er nach den passenden Worten. »Also, ich
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