Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse
daran zweifelte er keine Sekunde.
Vielleicht würde er sie töten, wenn er sein Ziel erreicht hatte. Niemand behandelte ihn wie einen Sklaven und kam mit dem Leben davon. Niemand versuchte ihn auszutricksen und blieb ungestraft. Und wer glaubte, ihn zu kennen – der
lernte
ihn kennen.
Alebin brüllte auf, dass ein ganzer Luftblasenschwall aus seinen Lungen entwich. Er hatte die Augen zu lange geschlossen gelassen und sich ungespitzt selbst in den Grund des Sees gerammt – zum Glück an einer Stelle, wo nur schwarzer Modder ruhte und kein Felsgestein. Als die aufgewirbelten Sedimente davontrieben und der Elf wieder sehen konnte, erblickte er Tristans Schwert. Keine drei Schwimmzüge entfernt steckte es im Boden.
Er zog es schwungvoll heraus und machte sich auf den Rückweg. Hundert Herzschläge – die mussten jeden Moment verpocht sein. Wenn die Lichter ausgingen und er nicht wenigstens in der Nähe des Eisloches war, kam er nie wieder heraus. Jedenfalls nicht vor dem Frühling.
Das zahle ich dir heim, du alte Nebelkrähe!
, dachte der Elf wütend, bevor er seine Augen schloss.
Es war schwierig, ohne Zuhilfenahme der Hände zu schwimmen. Alebin hielt Tristans Schwert fest umklammert. Noch einmal würde er diesen kostbaren Schlüssel ganz gewiss nicht verlieren!
Der Rückweg ging viel schneller vonstatten als das Tauchen in die Tiefe. Hin und wieder blinzelte Alebin, um sicherzugehen, dass er noch auf Kurs war. Als er zum zweiten Mal an Treggles Felsenriff vorbeikam, ließ er die Augen geöffnet: Gleich, jeden Moment, musste das Eisloch in Sicht kommen! Das wurde auch Zeit, denn die hundert Herzschläge waren bestimmt mit dem nächsten vergangen. Oder dem übernächsten.
Alebin wurde warm, während er auf die Eisdecke zuschwamm.
Nein, ich habe keine Angst!
, sagte er sich.
Überhaupt keine. Auch nicht das Gefühl, zu ersticken. Ich bin nicht klaustrophisch. War ich noch nie. Wo ist das verdammte Loch?
Panik flackerte in seinen Augen, als er das Eis erreichte und sich mit den Händen daran entlangtastete. Von einer Bruchstelle war nichts zu sehen. Kein Riss, keine nachgewachsene, dünnere Schicht. Nichts. Auf dem Dozmary Pool lag ein glatter, milchweißer Deckel. Und Alebin steckte darunter fest.
Hundert Herzschläge – sie mussten vorbei sein. Dem wilden Gepoche in seiner Brust nach zu urteilen, gaben sie sich zumindest alle Mühe. Da kam Alebin die rettende Idee! Er drehte sich um, schloss die Augen und tauchte ein Stück hinunter.
Die Bestie war eingenickt. Als ein Geräusch durch den See zog, schoss ihr Kopf ruckartig hoch. Sie riss die glühenden Augen auf – gerade rechtzeitig, um den schönen Anblick nicht zu verpassen. Winterliche Landschaft, Mondschein über dem See. Plötzlich barst das Eis unter dem Stoß einer Klinge, flog in glitzernden Brocken davon – und aus dem Wasser kam Tristans Schwert herauf. Eine Hand hielt es fest, wie einst Excalibur.
Doch der Hand folgte keine ätherische Frau, sondern ein grantiger, rothaariger Elf. Shumoonya seufzte. Schöne Anblicke waren ein flüchtiges Glück.
16 »Sieg! Sieg!«
Wer nachts durchs Moor ging – was kein vernünftiger Mensch tat –, der sah vielleicht das eine oder andere unheimliche Licht, zog aber ansonsten in tiefster Dunkelheit seiner Wege. Für Elfenaugen jedoch war die einsame, nächtliche Weite ein Lichterfest. Jedenfalls an magischen Orten, wie zum Beispiel dem nahen Umfeld des Dorfes Minions, im Craddock Moor unterhalb von Whispering Willows.
Da gab es drei mächtige, uralte Steinkreise,
The Hurlers
. Sie lagen exakt auf einer Linie und glühten des Nachts in dunklem Grün. Zwei frei stehende Megalithen,
Pipers
genannt, waren nur ein kleines Stück von den Kreisen entfernt und leuchteten blau. Der Sage nach hatte ein längst vergessener Gott dort eine Gruppe Männer zu Stein werden lassen, weil sie an seinem Feiertag ein Wurfspiel –
Hurling
– gespielt hatten, statt ihn anzubeten. Diese frühe Art des Handballspiels wurde von Musik begleitet, und die beiden Dudelsackpfeifer, die Pipers, bekamen den göttlichen Zorn ebenfalls ab.
»Und das stimmt?«, fragte Alebin zweifelnd.
»Nein«, antwortete die Torfmuhme. »Was hier leuchtet, weil es nicht sterben kann, sind zwei Druiden und ihre Anhänger. Sie haben sich in echter Magie geübt und …« Sie lachte leise. »… wohl den Falschen heraufbeschworen. Da lang!«
Shumoonya zeigte auf einen nahen Hügel. Seine Vorderseite war zerklüftet und düster, ein Steinbruch, von
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