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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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den ich eine Folie abzugeben habe. Ich bin ein behender Lieferant von erwünschten Lustgefühlen und beherzten Entschlüssen. Das ›Allgemein Menschliche‹ ist mir odios; ich karikiere es tunlichst. Zuweilen sehe ich mich auch belohnt . . . Sehen Sie den guten, offenherzigen Geheimrat Goethe (derzeit schon Intimus des Chefs, sozusagen Vizegott vermöge rabiater Produktionskraft): dieser Mann, – ein Filou übrigens, will ich Ihnen sagen! – hatte manche Stunden, wo er mir sympathisch war und mit mir harmonierte. Wir gingen zuweilen Arm in Arm; er war ein Witzbold, halb Faun, halb Causeur; er konnte in seinem Hirnkasten die Fächer auf- und zuschnappen lassen. Doch seit er sich auf den Kothurn begeben hatte, war er auch durch schalkhafte Rippenstöße nicht mehr herunterzubringen. Wahre Stelzen hatte er sich angeschafft; er schwoll von Pathos, er war eine wandelnde Orgel und ein aufdringliches Plakat für den Chef, den er überall herauszuwittern meinte . . .«
    Der Lenker stoppte. Die bläulichen Sonnen waren näher gekommen; sie flackerten in tiefer Finsternis. Doch das Fahrzeug war hell beleuchtet. Als Boggi sich fragend an den Marquis wandte, sah er statt seiner ein schimmerndes Phantom, ein menschliches Gerippe mit dem Schädel eines Raubtieres. Boggi fuhr zusammen. Und das Phantom regte die Kiefer, schattenhafte, spitzzahnige Kiefer, und sprach: »Mein Lieber, diese kleine Überraschung ist für jeden neu. Sie sehen, wie wenig Geheimnisse ich vor Ihnen habe: wie einen Strumpf krempele ich mich um. Wir sind jetzt in der Röntgenregion; diese Effekte erzielen wir durch die hübschen Radiumlaternen, die Sie dort oben pendeln sehen. – Betrachten Sie sich gütigst auch!« – – Boggi sah seine Organe hinweggelöscht, ausgetilgt; nur in der Gegend des Herzens saß ihm ein dunkler Fleck.
    »Sie haben da noch so etwas wie einen Rest Gemüt und eine lichtempfindliche Platte, die schwarz anläuft«, sprach der Marquis. »Diese kleine Unzulänglichkeit wird hoffentlich bald schwinden. – Nun wollen wir weiterfahren; dort bei der Brücke über dem ›Großen Abgrund‹ ist diese Durchstrahlung zu Ende.« Das Auto raste weiter, und rechts und links wirbelnde, von Finsternis schwärende Klüfte, nichts und abernichts bis in den wuchernden, unermeßlichen Raum hinein, zogen zwei klaffende Tiefen vorüber. Endlich sahen sie einen Komplex von tiefrot beleuchteten Palästen, Pyropolis, die Flammenstadt: Strontiumfeuer auf allen Dächern.
Das Panoptikum
    Es gab da große Säle, in deren hohe Fenster das rote Licht von draußen fiel und flackernde Quadrate auf das Parkett warf. Boggi deuchte, als sei er in der Gunst seines Gönners gestiegen. Er übte die mit Pläsier verbundene Befugnis aus, die Leutchen, die am Hofe seiner höllischen Eminenz zugelassen wurden, einander vorzustellen: Haudegen aus vergangener Zeit, Kondottieri, französische Marschälle, Chevaliers des Regime, Landsknechtsführer, die wie Schlachterhunde in das Gewisper verzuckerter Idiome bellten, lasterhafte und hiebfeste Eigenbrötler ohne Gewissen . . . Boggi freute sich, wenn die Ehrbegriffe früherer Epochen in die Lücken der späteren platzten und der Streitlust Futter boten. Die Herren wimmelten durcheinander wie eine maskierte Tanzreunion. Das Weib schien nur die Rolle des Mittels zum Zweck zu spielen. »Das Weib«, meinte der Marquis, »ist eine Entartung, ein Umschlag in die Sinnensphäre, geistlos und folglich Objekt. Man kann es in zwei, drei Typen erschöpfen, kondensiert, wissen Sie, wobei alles auf seine Rechnung kommt. Was die Herren anbelangt, so haben wir hier die Auslese seit 1500. Die früheren Daten arbeiten wir in unserer Fabrik um, neuer lebensfähiger Mischungen wegen, die wir dann droben – auf der vorletzten Haltestelle! – zu Ausleseexperimenten verwenden. Der Esprit ist unzerstörbar; gegen Grundstoffe kämpfen wir nicht an. – So ist jede Generation mit Stoff aus der vorigen bedacht; Sie selbst, mein Lieber, sind auch ein Resultat, das schon früher irgendwann einmal herausgesprungen ist.«
    »Das wäre eine handliche Deutung der Seelenwanderung! « sprach Boggi.
    »Gleichviel . . .« fuhr der Marquis fort. »Nennen Sie's Unsterblichkeit, so haben Sie ebenfalls recht. Der Herr dort hat den Stoff zu einem Trustkönig; eine robuste Rechentabelle; die nächste Inkarnation wird's zeigen; vorläufig ist er am grünen Tisch verkümmert. Hier schätzt man die Fähigkeiten, nicht die Leistungen, und jeder bringt seine

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