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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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über ihr weißes Gesicht gestülpt war, und gab Feste, arrangierte Ausflüge und Picknicks in den toten Wäldern zwischen weißen Baumstrünken, wo leuchtende Frösche durch parasitische Blüten sprangen; er genoß ohne Überdruß, stets angespannt, nie befriedigt, immer elastisch, frisch und schlaflos.
    Da, mitten im Trubel der Orgien, ereignete sich folgendes: er hörte irgendwoher eine Stimme wehen, kristallklar, unberechenbar fern und doch von greifbarer Wirkung, eine Stimme, tief vor Verlangen wie das Beben eines Cellos und zart wie kühlender Windhauch, und diese Stimme sprach: »Boggi, ich suche dich!«
    Er faßte sich an den Kopf. Er befreite sich von den perlmutternen Gliedern Liliths, die ihn umschlangen; er lauschte, schmerzhaft angespannt, und in seiner Brust war etwas angetastet, das mitschwang: ein hilflos vibrierendes Echo. Er beobachtete sich staunend; er zuckte mürrisch die Achseln; ein erstes Mal ließ ihn der Verstand im Stich.
    »Zum Teufel,« dachte er, »was mag das sein? – Wir haben viele Geräusche in der Hölle, doch dies da klingt absonderlich.« – Er fand keine Freude mehr an seinen Vergnügungen; er begann einsam zu wandern und sich unwohl zu fühlen in seiner Vizewürde. Auf einmal befand er sich auf derselben Straße, auf der er ehemals gekommen war. Und in dem »Korps der Hoffnungsengel«, die ihm, paarweise geordnet, entgegenwallten, ging eine, die hatte ein weißes Kleid an, und ihre Stimme fiel silbern aus dem Kanon.
    Doch er blieb allein. Rings um ihn quoll ein Nachtleben, blinde Gespenster zeugend, ohne den Hauch von Seele und voll von Verlassenheitsgefühl. Kalt und klar spann oben das Radium seine spitzen Strahlen und senkte, rätselhaft sickernd gleich opalisierendem Tau, seine funkelnden, hirnversengenden Netze herab ; und unten breiteten sich die Gefilde vergewaltigt von sonnenlos dumpfer Luft . . . das Reich des Schattens und des Zweifels. Und symmetrisch, geradlinig kreuzten sich hier die Straßen; er sah die Flucht der aneinanderstarrenden Telegraphenstangen, wie sie sich gleichsam fraßen, erschlaffend parallel in Nichts verdämmernd. – Da, bei ihrer Wiederkehr, löste sich aus der Schar der »Hoffnungsengel« die eine im weißen Kleid; er sah die Bewegung ihrer blanken, spröden und ehemals von ihm beleidigten Glieder; sie schwamm auf ihn zu mit stillem Händebreiten und tiefem Blick. Und ihre Lippen, zag gespalten im Durst nach der Ruhe und Sicherheit in einem Kuß, der anderer Art war als alle Küsse der Hölle, hauchten ihren Seufzer:
    »Boggi, ich suche dich!«
    Sie war schön und hilflos. Sie tastete sich vorwärts, eine rätselhafte Kraft schien in ihr zu sein. »Was ist diese Kraft?« staunte er. »Komm doch, komm!« Er spielte mit ihr ein erhabenes und lächerliches Spiel; er haschte nach ihr wie nach einem Schmetterling. Der »dunkle Fleck« begann zu brennen . . . Doch auf einmal schien sie verschwunden, und er glaubte statt ihrer den Marquis zu sehen, der sich gelb und düster vor ihm auftürmte wie ein grollender Schatten.
    »Lassen Sie den Unsinn!« hörte er es hallen. Und dann, wie durch den Witz erniedrigt und verkleinert, fuhr das Schemen fort, kalte Blicke mit den seinen kreuzend: »Sie blamieren sich, mein Lieber. Sie hängen zärtlichen Gedanken nach, die nicht zur Sache gehören. Sie sind nicht intakt; der ›dunkle Fleck‹ steht Ihnen nun und nimmer. – Mir scheint, eine unpassende Reminiszenz von droben behelligt Sie . . .« Und Boggi kehrte zurück, ernüchtert, geärgert und voller Sucht nach neuer Zerstreuung.
    Mit der Zeit versuchte er sich vor dieser hämischen Mahnung zu rechtfertigen. »Ich habe keineswegs geträumt, teuerer Marquis«, behauptete er und trotzte auf. »Sie haben mir ein apartes Vergnügen ohne Berechtigung zerstört . . . Stören Sie mich nicht; bleiben Sie, wo Sie sind; keine Satzung gerät in Gefahr. Wer heißt Sie, meine Meditationen zu ironisieren? – – – Immerhin, Ihr Wohl!« Und er trank aus schnell gewechselten kleinen Gläsern von anstachelndem, gärendem Wein; hastig und unermüdlich. Er trank, lachte und schrie; er fühlte sich wohl in einem Pfuhl und behagte sich vor einer Arena von lasterhaften, amüsanten Krüppeln, die er aufmarschieren ließ und die auf sein Geheiß Wirklichkeit behielten oder verschwanden wie ausgelöschte Lichter.
    Einmal saß er wiederum, lachend und spottend, hinter einer Batterie von Giften verschanzt, die die Zukunft über die arglose Erde verhängen sollte, in

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