Seidenfpade
ausgekratzt. Ein dunkler Fleck breitete sich auf dem Schoß aus, als ob die Puppe vergewaltigt worden und das Blut schon lange, lange getrocknet wäre.
Auf dem Boden des Fachs lagen Fotos von einem Mädchen in unterschiedlichen Wachstumsstadien. Da gab es Babyfotos, das Mädchen als Kleinkind in einem Spitzenkleidchen, Schnappschüsse von einem schlaksigen, anmutigen wunderschönen Teenager mit Katjas leeren Augen und kaltem Lächeln.
Wieder vibrierte das Handy beharrlich an Shanes Bein. Er bemerkte es zwar, aber nur wie aus unendlicher Ferne. Der kleine Strahl seiner Taschenlampe glitt über ein Foto nach dem anderen.
Auf jedem Bild umarmte das Mädchen ein älterer Mann. Ihre Augen waren also ausgekratzt worden, seine nicht - doch die Kratzer befanden sich bei ihm in der Leistengegend. Er mußte ebenso gründlich verstümmelt sein wie Kasatonin.
Sehr sanft steckte Shane die Puppe wieder in das Fach zurück und schloß die Klappe. Ihm kamen dabei die Lehren von Ngon Fok Gyen in den Sinn, der sagte, daß, wo und wann immer ein Mensch Atem schöpfte, Buddha, die fleischgewordene Nächstenliebe, wohnte.
Shane fragte sich, ob sich Buddha auch in der traurigen, wahnsinnigen Finsternis von Katjas Seele befand.
Er verschoß den Safe wieder und ging zum Computer zurück. Das Laufwerk übernahm immer noch Dateien. Er markierte eine weitere Kolonne und kopierte sie.
Auf einmal hörte Shane ein leises Rascheln, als ob jemand an die Weihnachtssterne gestoßen wäre. Es konnte aber auch der Wind gewesen sein.
Oder jemand zwängte sich durchs Gebüsch, um einen Blick durchs Fenster zu werfen.
Shane klickte rasch das Copy-Icon an, um die markierte Datenkolonne zum Kopiervorgang freizugeben, und riß dann den Mauszeiger vom Bildschirm. Sofort flammte der Bildschirmschoner auf.
Rasch drehte er den Helligkeitsregler wieder hoch und stieß sich in gebückter Haltung vom Schreibtisch ab. Geräuschlos schlich er über den dicken Teppich der Cabana.
Tick-tack. Tick-tack.
Das leise Geräusch kam von der Terrasse bei den Glasschiebetüren des Schlafzimmers.
Shane drückte sich an den Türrahmen und spähte in die Dunkelheit hinaus.
Nichts.
Verlaß dich nicht auf deine Augen, ermahnte er sich. Was sagt dir dein Bauch?
Die Antwort kam umgehend.
Da draußen ist jemand - jemand, der weiß, daß ich hier drinnen bin.
Shane überlegte blitzschnell. Der Computer im Nebenzimmer lud gehorsam Dateien auf sein Laufwerk. Er wollte jedes bißchen haben, das er draufpressen konnte. Dann mußte er das Laufwerk wieder abhängen, in seinen Rucksack stopfen und schleunigst Fersengeld geben.
Er lauschte auf die Geräusche der Nacht. Der Wind pfiff durch die Bäume, und Buschwerk schlug gegen das Fenster. Der Regen fiel in stetigen Strömen. Immer wieder blitzte und donnerte es.
Keine Stimmen.
Keiner, der sich am Türschloß zu schaffen machte. Vielleicht ist es ja nur wieder jemand vom Personal auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen für ein Schäferstündchen. In dem Fall werden sie sich bald verziehen; denn egal wie geil sie sind, sie werden es auf keinen Fall in den Privatgemächern der Zarin treiben.
Vorsichtig stieß er sich vom Rahmen ab, öffnete die Schiebetür einen Spalt und lauschte angestrengt. Wind und Regen überdeckten die Geräusche, doch die feuchte Luft übertrug dafür um so deutlicher die Gerüche der Umgebung. Schnuppernd atmete er ein. Der Duft des Regens und der feuchten Vegetation erfüllte seine Nase. Doch zwischen all diesen Gerüchen war noch etwas, etwas ... Weibliches. Katja kann es nicht sein, sagte sich Shane und atmete lautlos aus. Die würde ich in einem Schlachthaus auf hundert Meter gegen den Wind riechen.
Außer, sie benutzt das Jasmin-Gardenien-Parfum nur in ihrem Schlafzimmer. Dann stecke ich wieder mal bis zum Kinn im Dreck. Sie könnte hergekommen sein in dem Verdacht, daß jemand in ihre Suite eingebrochen ist, und sich gleich wieder aus dem Staub gemacht haben.
Wenn ich hierbleibe, sitze ich in der Falle.
Andererseits könnte es aber auch nur ein Wächter sein, der bloß herumschnüffelt. Wenn das der Fall ist...
Still wie ein Schatten öffnete Shane die Tür, schloß sie geräuschlos hinter sich und verschmolz mit der Nacht. Während er im Buschwerk verschwand, zog er ein Klappmesser aus seiner Hosentasche. Mit einer Daumenbewegung ließ er die Klinge hervorspringen.
Das Messer war den Vollautomatikwaffen des Bewachungspersonals natürlich in keiner Weise gewachsen, doch Shane
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