Seidenfpade
...«
»... dann versuche ich nachts zu arbeiten«, beendete Dani trocken seinen Satz. »Herzlichen Dank, Gillie. Erinnern Sie mich daran, daß ich Ihnen einen Gefallen schuldig bin. Salz in Ihren Kaffee würde mir da auf Anhieb einfallen.«
Dani hängte ein, während Gillespie noch lachte. Zu ihrer Überraschung mußte auch sie lächeln. Dieses Gespräch hatte sie mit neuem Auftrieb erfüllt.
Ein Glück, dachte Dani. Ich brauche jedes bißchen Energie, das ich kriegen kann.
Auf ihrem Schreibtisch häuften sich Dokumente, Kataloge und jede Menge Zeitungsausschnitte. Einiges davon stammte von Risk Limiteds Computer-Datenbanken. Doch der überwiegende Teil des Forschungsmaterials kam aus Danis eigener Fundgrube -Ausstellungskataloge und Auktionsprogramme, Bücher, die nicht mehr erhältlich waren, und Esoterikmagazine, die nur in limitierter Anzahl aufgelegt wurden, aber Informationen enthielten, die sonst nirgends auf der Welt zu finden waren.
In den Tagen vor und nach Aruba, die Dani mit dem Sichten und Sortieren von Dokumenten und Forschungsmaterial verbracht hatte, war ihr allmählich klargeworden, daß sie selbst eine einzigartige Informationsquelle darstellte.
Andere hatten ihr Interesse an antiken Textilien oft als seltsam, ja manchmal als ausgesprochen lächerlich abgetan. Doch jetzt begriff Dani, daß sie mehr bieten konnte als die Summe ihrer wissenschaftlichen Artikel. Sie war nicht nur untrennbar mit der zurückliegenden Vergangenheit, sondern auch mit der lebendigen Gegenwart und der ungewissen Zukunft verbunden. An ihrer Arbeit orientierten sich nicht nur eine Handvoll Akademiker, sondern auch Politiker und Naturvölker vom Rande der Welt.
Und nicht zu vergessen Mörder und Betrüger, rief sie sich ins Gedächtnis.
Selbst nach ihren vielen Aufenthalten in der relativen Anarchie entlang der Seidenstraße hatte Aruba ihr eine Art Offenbarung gebracht. Es war wie der Unterschied zwischen der Lektüre eines Reisemagazins und dem eigenen Blick hinter die Kulissen.
Der durchschnittliche karibische Tourist sah nur Sonne und Strand und die bunten Lichter der tropischen Nächte. Doch hinter der Strandidylle der Neonfassade von Aruba lag eine andere, weit finsterere Realität. Die Finsternis zu bagatellisieren hieß, auch das Gute in Abrede zu stellen, das natürlich trotzdem existierte.
Aber wir könnten viel, viel mehr Licht gebrauchen, dachte Dani und zog ein paar Papiere aus dem Stapel. Ein paar Lagerfeuer in der düsteren Nacht der Harmony sind einfach nicht genug.
Scheinbar willkürlich suchte sie noch mehr Papiere heraus. Früher einmal hätte sie sich gefragt, warum sie ausgerechnet diese aus dem Stapel von Dokumenten auswählte. Das ließ sie jedoch inzwischen bleiben. Sie hatte erfahren, daß die rationale Ebene ihres Verstandes nicht immer die verläßlichste war. Muster formten sich woanders, dort, wo Instinkt und Intellekt miteinander verschmolzen.
Ich werde nach Hause gehen und dort Weiterarbeiten, beschloß Dani und stopfte die Papiere in ihre Schultertasche. Während dann meine Minestrone kocht, lege ich eine CD mit gregorianischen Gesängen auf und lasse meinen Kopf ein wenig ausruhen.
Sie zögerte, doch dann steckte sie auch die restlichen Risk-Limited-Dokumente zu den anderen Papieren in die Tasche. Nachdem sie Shanes Einbruchswerkzeug gesehen hatte, das er so geschickt zu benutzen verstand, war ihr Vertrauen in Schlösser merklich geschwunden.
Der rationale Teil von Danis Verstand sagte, daß sie übertrieb mit ihrer Sorge, der Arm der Harmony könnte bis in ihr Büro hier an der Uni reichen. Es war unmöglich, daß sie hierherkommen, ihre Papiere filzen und die bittere Wahrheit rausfinden könnten.
Doch ihr Instinkt empfahl ihr, aufzuhören zu denken und sämtliche Unterlagen in die Tasche zu stopfen. Was sie energisch in die Tat umsetzte ...
Es klopfte. Bevor sie »Herein!« rufen konnte, ging die Tür auf.
Der Kopf des Leiters der archäologischen Fakultät, Henley Cage, erschien. Cage, einer von Amerikas führenden Experten in chinesischer Innenarchitektur, war ein großer, dünner Akademiker, der natürlich eine der Eliteuniversitäten des Landes absolviert hatte und eine Schwäche für Cordjacketts mit Lederflecken an den Ellenbogen sowie für Haarschnitte, die weder lang noch kurz waren, besaß.
»Hallo, Unbekannte«, sagte er lässig.
»Hallo Henley«, erwiderte Dani lächelnd. »Was gibt es?«
»Ich bin froh, daß ich Sie endlich in Ihrem Büro antreffe. Schon seit
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