Seidenfpade
eines armen Kindes.
Die Illusion von Weihnachten war gelungen, ja, es gab sogar eine Krippe, komplett mit einem russisch-orthodoxen Christkind, die vor Katjas eigener Privatcabana prangte.
Katja Pilenkowa war ein Genie, wenn es um das Kreieren von Illusionen ging. Und das wußte sie auch.
Ganz konsequent nutzte sie ihr Talent schamlos aus.
Die dreißigjährige Blondine besaß eine blendende Erscheinung mit grünen Augen und einer Figur, die perfekt zu dem trägerlosen, bodenlangen Chanelkleid paßte, das sie im Augenblick trug.
Als die Sowjetunion noch existierte, hatte sie eine vielversprechende Karriere am Moskauer Filminstitut begonnen. Jedoch erkannte sie schon sehr bald, daß Schauspieler und Schauspielerinnen in ihrem Land lediglich den Mächtigen als Faustpfand dienten. Die wahren Drahtzieher standen hinter der Kamera.
Also machte sich Katja daran, Regisseurin zu werden. Mit der Zeit gewann sie den Ruf, sich in diesem Institut auf dem Weg an die Spitze zu befinden. Unglücklicherweise fanden ihre ehrgeizigen Pläne mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Großreichs jedoch ein rasches Ende, da die gewohnten Subventionen ausblieben.
Wie viele Angehörige der Nomenklatura, der staatlich geförderten Elite, sah sich Katja auf einmal gezwungen, um ihr Überleben zu kämpfen.
Es war nicht leicht gewesen. Fast über Nacht breitete sich eine Art Goldgräberstimmung in Moskau aus und mit ihr Gesetzlosigkeit. Für Geld war alles zu haben, und nichts besaß mehr einen Wert, am wenigsten ein Menschenleben. Nun, wo die Kommunistische Partei auseinandergebrochen war, ging die Macht an skrupellose Glücksritter und Wirtschaftsbetrüger.
Stolz ließ Katja den Blick über ihre Errungenschaften schweifen; sie hatte Erfolg gehabt, wo viele neben ihr untergegangen waren ...
Auch ihr Leben verloren hatten ...
Für Katja war die Metamorphose von der Filmregisseurin zur Bordellmadam eine durchaus natürliche. Illusionen blieben nun mal Illusionen. So weit es sie betraf, bestand der einzige Unterschied nur in der Größe des Publikums.
Früher habe ich mit meinen Illusionen Millionen von Kinofans unterhalten, dachte Katja überaus zufrieden. Jetzt erfülle ich die privaten Phantasien einer Handvoll reicher, exklusiver Herrschaften.
Die neuen Illusionen waren allerdings eine kostspielige Angelegenheit und der Preis für einen Fehlschlag viel höher. Dennoch zog Katja ihr neues Leben dem alten vor. Professionelle Girls betrachteten das Leben viel realistischer als professionelle Schauspieler.
Katja selbst stand nicht zur Verfügung. Sie mußte einem Mann nicht in die Augen sehen und ihm sagen, daß er der beste war, den sie je gehabt hatte, während sie sein Geld einsteckte.
Das Lügen machte Katja nichts aus - die Demütigung schon. Das bißchen Respekt, das ein Mann einer Frau gegenüber empfand, löste sich in Rauch auf, sobald sie die Beine für ihn spreizte.
Besonders wenn es um die Männer der Harmony ging.
Das Leben hatte Katja gelehrt, daß diese Sorte immer die Frau höher schätzte, die sie noch nicht gehabt hatte. Solange sie den Kunden der Harmony ihren Körper vorenthielt, behielt sie ihre Macht über sie. Und ihre Faszination. Wie die literarischen Gastgeberinnen des achtzehnten Jahrhunderts besaß Katja eine Menge indirekten Einfluß.
Aber nicht genug, dachte Katja kühl, während sie über den Vorplatz zum Haupthaus ging. Noch nicht. Zu viel hängt von dieser kleinen Weihnachtsscharade ab.
Sobald ihr Fuß die marmorne Schwelle des Eingangs berührte, tauchte ein schwarzer Page in einem Elfenkostüm auf, um die Doppeltür für die Herrin und Besitzerin zu öffnen.
Kalte Luft traf sie beim Eintreten wie eine Wand. Die Fensterläden waren geschlossen, so daß es drinnen aussah, als wäre es draußen dunkel.
Boston, der farbige Haushaltsvorstand, kam Katja mit einem breiten Lächeln, das eine Reihe prächtiger weißer Zähne entblößte, entgegen.
»Die Klimaanlage muß noch mehr aufgedreht werden«, sagte Katja. »Dann legt mehr Holz in die Kamine. Man soll sich hier fühlen, als wäre draußen Winter.«
Boston nickte pflichtschuldigst.
»Yas’am«, sagte er in seinem gedehnten Inseldialekt.
Der Majordommus war zwar ein Einheimischer, doch er dirigierte das Personal mit einer Effizienz, die auf Aruba ihresgleichen suchte. Dann schritt er neben Katja her wie ein Unteroffizier bei einer Truppeninspektion.
Katja deutete auf die Glitzergirlanden, die eine Wand zierten.
»Diese Girlanden«,
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