Seidenfpade
Moment anrufen. Er muß einfach. Ohne die Seide ...
Angst und Sorge schnürten Katja die Brust zu. An dieses Gefühl war sie gewöhnt. Eiskalter Wodka, so kalt, daß er beinahe gefroren war, half.
Dafür ist es noch zu früh, ermahnte sie sich. Zuerst müssen die Männer eintreffen.
Und was Ilja anbelangt, er wird anrufen, wenn er etwas zu berichten hat. Bis dahin gibt es jede Menge Arbeit. Das Anwesen muß perfekt sein für dieses Treffen.
Katja wollte persönlich dafür sorgen, daß alles so arrangiert würde, wie sie es haben wollte, und zwar bis ins letzte Detail.
Das war eine Aufgabe, vor der die meisten Leute zurückgeschreckt wären. Mit einer Größe von gut zwanzig Hektar war Katjas Anwesen eines der größten, noch in privater Hand befindlichen Grundstücke auf der Insel.
Die zwanzig Cabanas, die in einem Radius von einer Viertelmeile auf dem Privatstrand verstreut lagen, boten jeden erdenklichen Luxus. Drei ausgedehnte Swimmingpools warteten in türkiser Klarheit auf Badende, die lieber nicht ins Salzwasser gingen.
Das große, stuckverzierte Haupthaus wies knapp siebenhundertfünfzig Quadratmeter Wohnfläche auf. Ursprünglich hatte es ein holländischer Kaufmann errichtet und danach ein venezolanischer Ölmagnat umgebaut. Erst kürzlich hatte ein kolumbianischer Drogenbaron zehn Millionen Dollar in das Anwesen investiert, bevor er dem Falschen den Rücken zudrehte und ins Gras biß.
Das Ganze sah aus wie ein exklusiver Erholungsort oder ein teurer Firmenferiensitz. Tatsächlich glich es mehr einem französischen Landschloß aus dem achtzehnten Jahrhundert. Anstelle von Philosophen und Dichtern gingen jedoch die führenden kriminellen Köpfe des späten zwanzigsten Jahrhunderts dort ein und aus.
Die Eigentümerin und Gastgeberin - und nicht zuletzt das kluge Hirn, das hinter der ganzen Sache steckte - hieß Katja Pilenkowa. Harmony Estate war sowohl ihre Visitenkarte als auch ihr Refugium.
Der Weihnachtsbaum für den Vorplatz, dachte Katja und ging im Geiste die Liste durch. Wie wird er aussehen, wenn die Männer eintreffen? Erste Eindrücke sind entscheidend.
Im Moment bedeckte Arubas berühmter zuckerweißer Sand die Zufahrt. Es war zwar kein Schnee, aber das Beste, was Katja in der Karibik auftreiben konnte.
Die sanften Passatwinde des Oktobers strichen über den Vorplatz. Die Äste der zwölf Meter hohen Coloradotanne wiegten sich leise rauschend. In den Zweigen hingen zahllose weiße Lichter und blinkten in der tropischen Sonne, viertausend Meilen von dem Ort entfernt, an dem die Tanne gewachsen war.
Obwohl die Passatwinde über Aruba hinwegstrichen, war die Tanne noch frisch und grün. Der Baum wurde nach dem Fällen innerhalb von vierundzwanzig Stunden mit einem eigens dafür gecharterten Jet angeliefert. Der Tannennadelduft hing schwer und würzig in der schwülen Luft.
Katja betrachtete den Baum mit einem Stirnrunzeln. Für sie war die Frische des Baums nicht das Entscheidende, sondern sein Schmuck. Sie hatte einen Bühnenbildner vom Broadway einfliegen lassen, um das Dekor auch möglichst echt hinzubekommen. Sie hatte das für eine gute Idee gehalten.
Jetzt war sich Katja nicht mehr so sicher. Doch sie neigte stets zu Unsicherheit, wenn sie einen Mann nicht sexuell kontrollieren konnte. Der Bühnenbildner war homosexuell, wie sich herausstellte, und neigte ein wenig zu Extravaganz.
Katja verstand Extravaganz, den schwulen Bühnenbildner jedoch nicht.
Sorgfältig musterte sie die grüne Tanne. Die Lichter waren kunstvoll plaziert, ebenso wie der übrige Schmuck. Tatsächlich bestand eine erstaunlich clevere Balance zwischen den amerikanischen Santa-Claus-Figürchen, den mundgeblasenen französischen Glaskugeln und den künstlerischen italienischen Ornamenten.
Es genügt, entschied Katja schließlich. Es genügt, um Tycoons zu beeindrucken, die ebenso sentimental wie brutal sind.
Sie wandte sich um und ließ ihre Blicke weiterschweifen über ihren Besitz, den sie Harmony getauft hatte.
Silber- und Goldgirlanden waren um Palmen und Buschwerk gewunden und glitzerten und flatterten im Wind. Farbige Lichterketten funkelten in den fackelförmigen Dividivi-Bäumen. Die Beleuchtung fiel im Moment noch nicht sehr auf, doch in der tropischen Nacht würde daraus ein einziges Lichtermeer werden.
Die Strandcabanas waren mit Weihnachtsschmuck aus zwölf verschiedenen Kulturen geschmückt. Das gesamte zwanzig Hektar große Grundstück ähnelte einem Märchenland, wie der wahr gewordene Traum
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