Seidenfpade
den Beifahrersitz ins Freie. Die Beine knickten ihr weg, als sie unten aufkam. Sie kniete am Boden und rang um ihr Gleichgewicht, während sie sich gleichzeitig die Steppjacke zuknöpfte.
Bevor Dani den ersten Knopf geschafft hatte, landete Shane neben ihr. Eine große Hand schloß sich um ihren Oberarm und stützte sie.
Bitter registrierte Dani, daß er sich für einen langen Lulatsch, der stundenlang in einer Sardinenbüchse eingepfercht war, mit erstaunlicher Leichtigkeit bewegte.
»Schnell, schnell«, beschwor der Fahrer sie.
Shane zog Dani rasch auf die Füße. Geduckt lief er, Dani hinter sich herziehend, zum Schrein hinüber.
»Herzlichen Dank, Dorjee«, rief Shane leise. »Mögen die Götter dir beistehen!«
»Dir ebenfalls, ehrwürdiger Meister«, rief ihnen der Tibeter hinterher. »Aber beeilt euch .«
Als Dani und Shane sich in Bewegung setzten, schlug der Fahrer die Motorhaube wieder zu. Rasch kletterte er hinter sein Lenkrad. Er ließ den Höllenmotor an, glitt rückwärts auf die Hauptroute, legte den ersten Gang ein und holperte von dannen.
Dani lehnte mit dem Rücken an der Steinwand des Schreins und sog keuchend die dünne, eisige Luft in ihre Lungen. Während Shane in dem abgerissenen Lederrucksack herumwühlte, knöpfte sie ihre Jacke fertig zu.
Von der Straße hinter ihnen hörten sie auf einmal ein weiteres Fahrzeug den Weg zu ihnen heraufschnaufen.
Shane lauschte angestrengt und überschlug rasch die Distanz und die Möglichkeiten, die ihnen verblieben. In kaum zwei Atemzügen fällte er eine Entscheidung.
»Da drüben, etwa dreißig Meter von hier, ist ein Graben!« Er deutete in die angegebene Richtung. »Sehen Sie ihn?«
Dani nickte.
»Dorthin müssen wir«, zischte er. »Sofort!«
Ohne weitere Vorwarnung riß er Dani auf die Füße und begann mit ihr über den unebenen Boden zu rennen. Felsblöcke und Steine versperrten ihnen überall den Weg. Es sah aus, als hätte ein unvorsichtiger Götterbote einen riesigen Tempel umgestoßen.
Ohne innezuhalten oder langsamer zu werden zerrte er Dani den steilen Abhang hinunter in den Graben. Dann wies er das ausgetrocknete Flußbett hinauf.
»Rennen Sie um Ihr Leben!« rief er.
Und schon schubste er sie vorwärts, um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen.
Dani rannte.
Shane folgte ihr auf dem Fuße. Das Geräusch ihrer Tritte auf dem rutschigen, steinigen Untergrund übertönte Danis keuchende Atemzüge. Sie fühlte sich, als wäre sie eine Meile gerannt, obwohl es sich um kaum hundert Meter handelte.
Auf einmal riß Shane sie zur Seite und stieß sie in eine kleine Höhle, die die Schneeschmelze aus dem Ufer gewaschen hatte.
»Bleiben Sie hier«, keuchte er. »Was Besseres - kriegen wir -nicht.«
Dani nickte nur. Sie war zu sehr mit Luftholen beschäftigt, um antworten zu können.
»Wie geht es dem Fuß?« fragte Shane einen Augenblick später. »Können Sie damit weiter?«
Wieder nickte Dani.
Shane streichelte ihr flüchtig über die Wange und lächelte.
»Ich wußte, daß Sie zäher sind, als Sie aussehen«, lobte er sie.
Absurderweise lächelte Dani zurück, obwohl ihr die Leichtigkeit, mit der Shane wieder zu Atem gekommen war, gegen den Strich ging.
»Was - jetzt?« brachte sie mühsam hervor.
»Wir warten.«
»Auf einen Führer?«
»Auf die Soldaten der Volksarmee«, berichtigte Shane und wies mit dem Daumen zum Schrein zurück. »Bleiben Sie hier. Versprechen Sie mir das?«
Dani nickte.
Shane schlich sich am steinigen Abhang des Flußbetts entlang, bis er den Schrein im Auge hatte, ohne selbst gesehen zu werden.
Nur Augenblicke später rumpelte ein schwerer Armeelaster im Schneckentempo über die Kiesstraße auf den Schrein zu.
Shane wartete ruhig atmend auf das, was die tibetischen Geister für ihn vorgesehen hatten.
Der Laster dröhnte ohne anzuhalten an dem Schrein vorbei.
Shane sprach ein lautloses Dankgebet an alle seine Schutzgeister. Dann schlich er zu Dani zurück.
Wie versprochen saß sie brav dort, wo er sie zurückgelassen hatte.
»Und?« fragte sie.
»Volksarmeesoldaten aus Lhasa«, sagte Shane. »Sie sind immer noch hinter Dorjee her. Er muß sich auf was gefaßt machen, wenn sie ihn erwischen.«
»Warum sollten sie an einem Lastwagenfahrer, der auf einer leeren Metallbox sitzt, interessiert sein?«
Ohne zu antworten warf Shane einen Blick über den Rand des Abhangs. Sowohl der Jiefang-Laster als auch die Armeepatrouille waren außer Sicht. Er schickte dem Laster ein stummes Gebet nach und
Weitere Kostenlose Bücher