Seidenfpade
drehte sich wieder zu Dani um.
»Dorjee ist nicht einfach ein Lastwagenfahrer«, erklärte Shane, »sondern Priester, ein Mönch von der Azursekte.«
Dani starrte ihn mit großen Augen an.
»Er ist einer meiner besten Männer und hat ausgeschissen, wenn ihn die Soldaten erwischen.«
Einen Augenblick bekam Dani keine Luft mehr. Ihr fiel ein, wie Dorjee Shane genannt hatte. Ehrwürdiger Meister.
»Können wir ihm nicht irgendwie helfen?« flehte sie.
»Dorjee hat seinen Frieden mit sich und seinen Göttern gemacht, als er sich freiwillig für diesen Einsatz meldete.«
»Aber ...«
»Auf alle Fälle sollten wir dafür sorgen, daß sein Opfer nicht umsonst war«, unterbrach Shane sie kurz angebunden. »Wir müssen weiter.«
Dani blickte sich um. Die kahle Landschaft erstreckte sich Hunderte von Meilen in alle Richtungen. Sie hätte beim besten Willen nicht sagen können, welche Richtung besser war als die andere.
»Wohin?« fragte sie.
»Vertrauen Sie mir«, forderte Shane sie auf.
»Habe ich denn eine Wahl?«
»Zu Fuß oder über meiner Schulter?«
Dani stand auf.
»Okay«, sagte Shane. »Dann also zu Fuß. Wenn Sie sich es anders überlegen, geben Sie Bescheid.«
»Mein ganzes Leben lang bin ich zu Fuß gegangen«, erwiderte Dani gepreßt.
»Nicht in dieser Höhe.«
»Ich habe Monate bei den Hirten verbracht.«
»Das erklärt einiges.«
»Was?«
»Ihre Jacke. Sieht aus, als hätten Sie sie einem chinesischen Lumpensammler ab geschwatzt.«
Shane nahm Danis Oberarm.
»Kommen Sie jetzt«, befahl er. »Wir haben noch zwei Stunden Tageslicht und fünf Kilometer vor uns. Ein Teil davon geht bergauf.«
Sie befreite sich aus Shanes Umklammerung. Seine Geste besaß etwas beinahe Besitzergreifendes, das ihr instinktiv widerstrebte.
»Ich bin kein Gepäckstück«, keifte sie. »Und lasse mich nicht durch die Gegend zerren!«
Shane warf ihr einen raschen Blick zu. Dann drehte er sich um und machte sich auf den Weg.
Sie verlor keine Zeit und folgte ihm.
In der ersten Stunde schlug Shane ein flottes Tempo über das öde, trockene Plateau an. Er hatte lange Beine und Erfahrung mit der dünnen Luft. Außerdem war er in ausgezeichneter körperlicher Verfassung und wußte, daß ihn jeder Schritt der Rettung näher brachte.
Dani war auch an die Höhe gewöhnt, aber ihre Beine wiesen nicht diese Länge auf. Gelegentlich mußte sie fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten. Ihr steifes Fußgelenk lockerte sich zwar, aber sie wußte, daß sie es später, wenn sie anhielt und es kalt wurde, zu spüren bekäme.
Über den Berggipfeln brauten sich dicke Wolken zusammen. Shane beobachtete sie mit zunehmendem Unbehagen, sagte aber nichts.
Dani schätzte, daß sie etwa vier Kilometer zurückgelegt hatten, als Shane einen Grat erklomm und gleich auf der anderen Seite stehenblieb. Wortlos sank sie japsend auf einen naheliegenden Felsblock.
Shane blickte sie an. Sie war zwar blaß und keuchte, war aber offensichtlich noch in einigermaßen guter Verfassung. Er nickte, wandte sich ab und kletterte das kleine Stück zum Grat zurück, so daß er die Piste überblicken konnte, die sie soeben hinter sich gelassen hatten.
Dort, wo Shane stand, war es nicht schwer, sich vorzustellen, daß es außer ihnen keine anderen menschlichen Lebewesen auf der Welt gab. Oder überhaupt ein Lebewesen.
Das weißgraue Band der Kiesstraße schlängte sich durch die kahle Landschaft. Der Himmel war ebenso leer wie dieser Pfad. Nicht mal ein Geier kreiste dort oben. Die Sonne stand genau über dem Kamm der Berge.
In einer halben Stunde würde sie hinter den schneebedeckten Gipfeln versinken. Und dann kam die Kälte.
Als Shane zu Dani zurückkehrte, atmete sie wieder etwas normaler. Er nahm ihr Handgelenk und fühlte den Puls unter ihrem Handschuh.
»Was zum ...«, begann sie.
»Still«, unterbrach Shane sie.
Dani gehorchte überrascht.
»Nicht mal achtzig«, sagte Shane und ließ ihr Handgelenk wieder los. »Sie haben das ernst gemeint, daß Sie bei den Yakhirten lebten, nicht wahr? Wir sind gut dreihundert Meter höher als vorher.«
Dani war auf einmal unheimlich stolz auf sich. Sie hatte mit einem großen, außergewöhnlich trainierten Mann mitgehalten, und das trotz ihres Fußgelenks.
Wenn mich Steve jetzt sehen könnte, dachte Dani. Ich würde ihn in seinen arroganten Arsch treten!
»Was für ein böses Lächeln«, sagte Shane. »Ich bin froh, daß Sie immer noch so kratzbürstig sind wie vorher.«
»Warum? Wir haben doch nur
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