Seidenmagd
sich kaum entscheiden.
»Nachher dürfen wir noch einmal zugreifen.« Frieder zwinkerte ihr zu. »Aber scheut Euch nicht.« Er hatte seinen Teller hoch beladen.
»Mein lieber Monsieur von der Leyen!«, rief ein älterer Herr mit einer protzigen, gepuderten Perücke. Sein Spitzenkragen ging ihm bis zum Gürtel der engen Hose aus Samt, er trug Schuhe mit hohen Absätzen. »Ich freue mich so, Euch hier zu sehen!«
»Monsieur Herstatt, die Freude ist ganz meinerseits«, antwortete Frieder und klang gequält.
»Isabella!«, rief dieser. »Isabella, schau mal, wer hier ist.«
Eine junge Frau in einem weiten, schwingenden Kleid aus Atlasseide trat an die Seite des kleinen Mannes. Ihre Haare waren hoch aufgetürmt und genauso gepudert wie ihr Gesicht. Ein Schönheitsfleck zierte ihre Wange. Die Lippen erschienen Catharina unnatürlich rot in dem bleichen Gesicht. Sie lächelte und reichte Frieder die Hand.
»Bonsoir, Monsieur«, sagte sie und lächelte.
»Enchanté, Mademoiselle«, sagte Frieder und beugte sich über ihre Hand. Dann richtete er sich wieder auf. »Ich hatte schon lange gehofft, Euch vorgestellt zu werden, hatte Euch aber heute Abend hier nicht erwartet.«
»Oh, ich liebe die Stücke von Hasse und bin förmlich gespanntdarauf, wie seine neue Oper sein wird.« Sie hakte sich bei Frieder ein. Er reichte, ohne sie anzuschauen, Catharina seinen Teller und ging mit Isabella einige Schritte.
Catharina hätte in den Boden versinken wollen. Das war also Isabella Herstatt, die Tochter aus gutem Hause, das gute Verbindungen zu anderen hochgestellten Familien hatte. War Isabella wirklich schön? Catharina sah sich um. Auch die anderen Frauen in dem Saal trugen extravagante Kleider und hatten außergewöhnliche Frisuren. Doch Isabella schien aus ihnen allen hervorzustechen. Das lag nicht wirklich an ihrem Aussehen, sondern an der Art, wie sich gab.
So, dachte sich Catharina und versuchte mit aller Macht die hervordrängenden Tränen zu unterdrücken, so werde ich mich niemals geben können. So selbstsicher, so vertraut mit all der Etikette der Herrschaft und des Adels. Ich gehöre nicht hierher, wurde ihr klar. Sie stellte den Teller achtlos auf den nächsten Tisch und suchte nach einem Ausweg. Ein hohes und schmales Fenster, das bis zum Boden reichte, war geöffnet und führte auf einen schmalen Balkon. Draußen lehnte sie sich an die Wand, schloss die Augen und holte tief Luft. Schließlich öffnete sie die Augen wieder.
Frieder liebt mich, dachte sie, und er wird erkennen, dass Geld und Macht nicht alles sind. Sie stieß sich von der Wand ab und kehrte in den Saal zurück. Frieder war immer noch mit Isabella ins Gespräch vertieft. Catharina holte tief Luft, setzte ein Lächeln auf und ging zu ihm.
»Bonsoir«, sagte sie, so freundlich sie es vermochte. »Mein Lieber, sollten wir nicht zu unseren Plätzen gehen?«
»Oh.« Frieder sah sie überrascht an. »Naturellement.«
»Wollt Ihr uns nicht vorstellen?« Isabella zog die Augenbrauen hoch und lächelte süffisant.
»Mademoiselle Herstatt, dies ist Mademoiselle te Kamp.« Frieder räusperte sich. »Wir sehen uns sicher später.«
Er führte sie in den Zuschauerraum, sah sich immer wieder um und fand schließlich das, was er offensichtlich suchte. Familie Herstatt saß nur wenige Reihen vor ihnen.
Die Musik und die Handlung rauschten an Catharina vorbei. Immer wieder sah sie Frieder an, doch er schien ganz in die Musik zu versinken. Der letzte, tragische Akt wurde aufgeführt. Piramo starb, und kurz darauf setzte Tisbe ihrem Leben ein Ende. Der Vater, der die beiden fand, brach weinend zusammen.
Das, so dachte Catharina, war also wahre Liebe in der Oper. Hatte Frieder sie zufällig zu diesem Stück mitgenommen? Sie musste an die Opera Buffa in Hannover denken. Da war der Held in die Dienstmagd verliebt gewesen. Zum Schluss stellte sich heraus, dass die Dienstmagd von hoher Geburt war, und die beiden konnten ein Paar werden.
Es waren Geschichten, Geschichten, die offensichtlich immer wieder erzählt wurden. Wurden sie das, weil es sie wirklich gab, oder war dies reine Unterhaltung? Catharina hatte keine Antwort auf diese Fragen.
Nach dem Ende brachte Frieder sie schnell in das Gasthaus, wo sie sich einquartiert hatten. Er selbst kehrte noch einmal zum Schloss zurück.
Wütend, müde und enttäuscht, außerdem hungrig, ging Catharina zu Bett. Sie liebte ihn. Aber sie war nicht von seinem Stand. Liebte er sie? Sie wusste es nicht.
Kapitel 38
Am
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