Seidenstadtblues - Niederrhein Krimi
war zu laut, und selbst er konnte das Klopfen nicht hören.
»Don’t want to hear about it!«, jaulte die Stimme wieder. »Every single one has a story to tell!«
»Florian!«, brüllte Fischer und drückte die Klinke hinunter, doch die Tür war abgeschlossen. »Mach das leiser!«
»Everyone knows about it!«
Jürgen hämmerte gegen die Tür. »Mach! Das! Leiser!«
Endlich reagierte sein Sohn. Die Musik verstummte.
Jürgen Fischer blieb einen Augenblick schnaufend vor der Tür stehen. Er sollte mit seinem Sohn reden, doch dieser verweigerte das Gespräch. Fischer hatte es schon mehrfach versucht, konnte aber nicht zu Florian durchdringen. Er wusste einfach nicht, wie er mit ihm umgehen sollte.
»Florian?«
»Was?« Es klang unfreundlich.
»Mach bitte die Tür auf.«
»Wieso?«
»Ich möchte mit dir reden.«
»Worüber?«
Fischer stöhnte auf. In den beiden vergangenen Wochen hatte er versucht, viel Verständnis und Mitgefühl zu zeigen, doch jetzt drohte ihm der Kragen zu platzen.
»Mach die Tür auf!«, donnerte er. »Jetzt sofort!«
Letzte Woche hatte er ein Gespräch mit der Psychologin gehabt, die die Therapie für Florian in Krefeld übernommen hatte. »Wenn Sie drohen, dann müssen Sie sich über die Konsequenz klar sein. Leere Drohungen sind eines – nämlich leer. Und das weiß Ihr Sohn. Also entweder drohen Sie nicht, oder Sie haben eine griffige Konsequenz in petto«, hatte sie ihm geraten.
Was würde er machen, wenn Florian die Tür nicht öffnete? Die Tür einschlagen wäre keine Lösung. Wieder hinunterzugehen und nichts zu tun, auch nicht. Noch während er die Hand hob, um wieder zu klopfen, öffnete sich die Tür.
»Was willste?«, grummelte sein Sohn.
Florian war ungewaschen und stank entsprechend. Seine Haare standen wild in alle Richtungen vom Kopf ab. Er trug ein ausgeleiertes T-Shirt mit einem Aufdruck von Nirvana und eine lustig gemusterte Boxershorts. Ohne seinen Vater anzusehen, schlurfte er zurück ins Zimmer, ließ sich auf das ungemachte Bett fallen. Die Luft in dem großzügigen Dachzimmer war zum Schneiden.
Jürgen Fischer öffnete die beiden großen Dachfenster und schaute sich um. In der einen Ecke sedimentierte ein Kleiderberg vor sich hin, vor dem Schrank lag ein zweiter. Das kleine Tischchen vor der Couch beugte sich unter der Last der aufgestapelten Pizzakartons. Der Mülleimer war als solcher nicht mehr erkennbar, er quoll über. Einzig der Schreibtisch mit dem Laptop schien sauber und ordentlich zu sein.
Jürgen schmiss die Kleidungsstücke von dem kleinen Sofa auf den Boden und setzte sich.
»Was ist das hier?«, fragte er und bemühte sich, ruhig zu bleiben.
Als sie das Haus gemietet hatten, sollte hier oben ein Gäste- und Arbeitszimmer entstehen. Mit knapp vierzig Quadratmetern war der Raum groß genug. Es wäre auch möglich gewesen, das Zimmer zu unterteilen, doch bevor sie sich dazu hatten entschließen können, war Florian eingezogen.
»Eine Müllkippe?« Fischer sah seinen Sohn an. Der hatte sich auf das Bett gelegt und die Augen geschlossen. Florian antwortete nicht.
»Florian«, sagte Fischer betont ruhig.
Der Junge drehte sich zur Wand.
»Ich rede mit dir!«
Florian zeigte keine Reaktion.
»Mein Sohn, wir leben hier zusammen, aber so geht das nicht.« Noch immer blieb Fischers Stimme ruhig und versöhnlich. »Dreh dich um und schau mich an.«
»Wieso?«, nuschelte Florian in sein Kissen.
»Damit ich dich ansehen und mit dir reden kann.« Fischer fühlte sich an die Trotz- und Pubertätsphasen seines Sohnes erinnert. Bei Florian hatte er von Letzteren nicht viel mitbekommen, aber Susanne hatte ihm von dessen störrischem Verhalten erzählt. Vor zwei Jahren war es dann deutlich besser geworden, aber jetzt schien Florian in das alte Rollenmuster zurückzufallen.
Er hat Schlimmes durchgemacht, sagte sich Fischer.
»Weißt du, Florian, ich kann mir vorstellen, wie es für dich ist, hier zu sein.«
»Ach?« Florian drehte sich um und setzte sich auf. Er warf seine langen und ungepflegten Haare zurück. »Kannst du das? Glaube ich nicht.«
»Warum sollte ich das nicht können? Du bist hier gelandet, obwohl du das vermutlich gar nicht wolltest. Du musst mit uns zusammenleben. Du hast deine gewohnte Umgebung nicht mehr, und deine Freunde sind weit weg. Und du hast Schreckliches erlebt. Das reicht, um einen wirklich sauer zu machen.« Fischer holte Luft. »Aber auch wenn ich das verstehe – wir sind nicht schuld daran, und es ist nicht fair,
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