Seidenstadtblues - Niederrhein Krimi
es an uns auszulassen.«
»Was ist schon fair im Leben?«
»Wenig, Florian. Und dennoch kann man dafür sorgen, dass es einem gut geht, und sich mit seiner Umwelt vertragen. Für Martina ist das auch nicht einfach.«
»Martina.« Florian spuckte den Namen beinahe aus.
»Du musst sie nicht lieben, aber gib ihr wenigstens eine Chance. Gib uns allen eine Chance. Wenn wir uns alle bemühen, dann kann das klappen.«
Florian zog einen Flunsch und ließ sich zurücksinken.
»Jedenfalls bitte ich dich, die Musik nicht so laut aufzudrehen. Du hast doch Kopfhörer, oder? Wir wollen jetzt frühstücken, wie wäre es, wenn du dich ein wenig frisch machst und dann runterkommst?«
Er stand auf. Florian reagierte nicht. Für einen Moment blieb Fischer unschlüssig stehen, dann ging er langsam zur Tür. Ihm lag es auf der Zunge, etwas zum Zustand des Zimmers zu sagen, doch er schluckte es hinunter.
Martina wartete unten mit einem eisigen Gesicht auf ihn. Sie saß am Esstisch und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
»Möchtest du einen Kaffee?«, fragte Fischer und bemühte sich, versöhnlich zu klingen.
Seine Lebensgefährtin nickte knapp. Fischer holte die Kaffeekanne aus der Küche, schenkte beiden ein und setzte sich.
»So geht das nicht weiter«, sagte Martina leise, ohne ihn anzusehen. »Das halten meine Nerven nicht aus.«
»Du musst ihm Zeit geben, es ist alles ganz ungewohnt für ihn.«
»Für mich ist das auch ungewohnt. Ich habe mich auf ein schönes Leben mit dir gefreut, und plötzlich wohnt ein Kind hier. Dein Kind. Dabei ist er noch nicht einmal mehr Kind, aber er benimmt sich so. Bockig ohne Ende.« Martina trank einen großen Schluck Kaffee, verschluckte sich, hustete. Fischer stand auf und wollte ihr auf den Rücken klopfen, doch sie wehrte ihn mit einer Armbewegung ab.
»Seit zwei Wochen wohnt er hier. In der Zeit habe ich ihn höchstens dreimal gesehen und dann auch nur zufällig. Er nimmt keine Mahlzeiten mit uns ein, er nimmt nicht an unserem Leben teil. Damit könnte ich ja noch leben, wenn er nicht Nacht für Nacht sein dreckiges Geschirr aus seinem Zimmer in die Küche räumen würde – und zwar nur neben die Spüle und nicht in die Spülmaschine. Nachts kocht er auch. Nudeln, Pizza, Würstchen, was auch immer. Morgens finde ich die dreckigen Töpfe. Er geht an den Kühlschrank und die Vorräte, ohne zu fragen. Ich stand jetzt schon zweimal da und habe mich gewundert, wo irgendetwas hin ist, was ich gekauft hatte, bis ich begriff, dass es im Schlund deines Sohnes gelandet ist.«
»Martina …«
»Nein, jetzt rede ich, und ich rede zu Ende! Ich verstehe, dass dein Sohn irgendwohin musste, und ich verstehe, dass du als sein Vater ihn aufgenommen hast. Das ist alles schön und gut, aber es muss ein gemeinsames Leben geben. So geht es jedenfalls nicht. Hast du gesehen, was er an Wäsche in den Keller schmeißt? Was er an Müll verursacht? Wenn du nicht da bist, dreht er die Musik bis zum Anschlag auf. Da kann ich rufen, bitten, betteln, es kommt keine Reaktion von ihm.«
»Ich weiß«, seufzte Fischer. »Er macht es auch, wenn ich da bin. Ich versuche, immer alles wegzuspülen, aufzuräumen, und habe auch seine Wäsche gewaschen, Martina. Ich möchte dich so wenig wie möglich belasten.«
»Seine Wäsche zu waschen wäre gar keine Belastung, wenn hinter der Wäsche ein Mensch stehen würde, der mit uns redet, mit uns lebt und nicht nur hier haust.« Sie stand auf. »Es ist Samstag, und ich wollte dieses Wochenende genießen, aber jetzt ist diese Freude verflogen. Ich muss hier raus, bevor ich vor Wut platze.«
»Wo willst du hin?«, fragte Fischer alarmiert.
»Weg!«
»Martina, bitte! Es wäre hilfreich, wenn du mich zur Psychologin begleiten würdest. Er ist erst seit zwei Wochen hier, und es muss sich alles noch einspielen.«
»Möglich, aber ich habe einen harten Job, und ich brauche meine freie Zeit, um mich davon zu erholen. Hier ist das gerade nicht denkbar. Tut mir leid, Jürgen, ich weiß, ich bin nicht konstruktiv.« Sie nahm ihre Handtasche und ging. An der Haustür drehte sie sich noch einmal um. »Ich brauche nur eine Atempause.«
Ich auch, dachte Fischer, als die Tür ins Schloss fiel. Das Wummern der Bässe hatte wieder eingesetzt, leiser, aber immer noch deutlich hörbar. Fischer nahm seine Jacke und verließ das Haus. Er würde zur Elfrather Mühle laufen, die frische Luft würde ihm guttun.
An die Nachricht von Oliver dachte er nicht mehr.
* * *
Sabine schafft es
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