Seidenstadtblues - Niederrhein Krimi
zu schlucken. Es riecht moderig und staubig und seltsam. Immer noch ist es kalt, eine unangenehme Kälte, die vom Boden hochzieht. Ein Luftzug streicht über ihren Nacken. Er bringt den fauligen Gestank mit sich.
Es ist dunkel, aber nicht mehr ganz finster. Sie kann Konturen erkennen, weiß aber nicht, wovon. Es ist, als wären es Schatten. Ihr ist schwindelig. Stimmen kann sie keine mehr hören. Vorhin hatten die Stimmen noch gemurmelt, im Nebenraum, nimmt Sabine an. Dann fielen Türen zu, und seitdem ist es still. Nicht ganz so still wie in dem Erdloch, in dem sie vor ein paar Jahren gefangen gehalten worden war.
Vögel zwitschern, und irgendwo jankt ein Hund. Sie kann Autos hören, weiter weg, und Fußgetrappel. Nicht deutlich, sondern wie durch Watte. Komische Geräusche hört sie auch, kann sie aber nicht einordnen.
Nackte Angst macht sich in ihr breit. Es ist anders als damals in dem Erdkeller an der Niers. Immerhin kann sie hier Geräusche hören, dennoch verschlägt ihr die Furcht den Atem.
Was mache ich hier, denkt sie verzweifelt. Wer hat mich hierhergebracht? Sie kann sich nicht rühren, die Fesseln sind zu eng. Ihr Herz pocht wild, sie kann kaum schlucken, so trocken ist ihr Mund.
Bittebittebitte, denkt sie, lieber Gott, lass nicht zu, dass ich sterbe. Bitte, Oliver, finde mich.
Wenn das wenige Licht Tageslicht ist, dann muss er sie bald vermissen.
Er wird mich finden, sagt sie sich wieder und wieder. Ein Mantra.
* * *
»Verdammte Scheiße!« Oliver Brackhausen schmiss den Schlüssel auf den Schreibtisch. »Gibt es irgendetwas Neues?« Er sah Volker hoffnungsvoll an, doch Volker verneinte.
»Das kann doch nicht wahr sein.
»Ermter ist da. Er hat mit Uta gesprochen. Sie hat den Wagen gestern auf der Oststraße abgestellt, aber dort ist er nicht mehr. Also wird Sabine ihn genommen haben. Die Streifen wissen schon Bescheid und halten nach dem Golf Ausschau.«
»Ich glaube das alles nicht.« Oliver ließ sich auf den Stuhl fallen und vergrub den Kopf in den Händen. »Ihr muss etwas zugestoßen sein«, flüsterte er.
»Hier, trink!« Guido Ermter stelle eine Kaffeetasse vor Oliver auf den Schreibtisch. »Ich habe die anderen angerufen und auch Hilfe von Wache West angefragt. Wir werden eine Soko bilden.«
»Was ist mit dem Toten?«, fragte Oliver.
»Der Fall ist abgeschlossen.«
»Was?«
»Die Rechtsmedizinerin hat schon den Bericht der Leichenschau geschickt. Sie geht von einem Unfall mit Todesfolge aus. Ohne Fremdbeteiligung.«
»Der Mann hat eine ganze Latte an Straftaten begangen, er hatte sicherlich Feinde.«
»Das ist möglich, aber letztendlich ist er wahrscheinlich an einem Aneurysma gestorben.«
»Wahrscheinlich?«
»Da es keine Hinweise auf Fremdeinwirkung gibt, meinte Altmann, dass eine Obduktion überflüssig sei.«
»Es werden Schüsse gemeldet, ein Mann mit einem ellenlangen Strafregister wird tot aufgefunden, und während Sabine ermittelt, verschwindet sie spurlos. Da besteht doch ein Zusammenhang!« Oliver fasste seine langen Haare im Nacken zu einem Zopf zusammen. »Ich kann nicht glauben, dass das alles ein Zufall ist.«
»Zuallererst müssen wir jetzt Sabine finden«, sagte Ermter beschwichtigend. »Sie hat gestern Nacht noch jemanden befragt?«
»Sie war bei der Schwägerin des Toten. Es hatte wohl Erbstreitigkeiten gegeben. Die Frau war weder sonderlich überrascht noch betroffen von seinem Tod.« Oliver verzog das Gesicht. »Allerdings konnte sie mir nicht sagen, was Sabine anschließend noch vorhatte.«
»Wann war das?« Ermter zückte seinen Notizblock.
»Sie muss gegen eins gegangen sein. Die Schwägerin des Toten, Maria Goeken, wohnt in der Blumentalstraße in einem Mehrfamilienhaus.«
»Hat sie gesehen, ob Sabine weggefahren ist?«
Oliver schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat gar nichts gesehen.«
»Unglaublich. Okay, wir leiten die Fahndung ein. Ich werde eine Meldung herausgeben. Oliver, schreib auf, mit wem Sabine in den letzten Tagen Kontakt hatte. Volker, setz dich mit der Telekom in Verbindung und frag nach ihren Handydaten.«
»Dazu brauchen wir doch eine richterliche Verfügung.«
»Ich rufe Altmann an.« Ermter ging zur Tür. »Wir treffen uns in einer Stunde im Besprechungszimmer.«
»Sabine Thelen ist verschwunden.« Guido Ermter presste das Telefon an sein Ohr. Mit der anderen Hand sortierte er wieder die Gummibärchen. Diesmal immer zwei verschiedene zusammen. Ein gelbes und ein rotes, ein grünes und ein weißes. »Wir möchten ihre
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