Seidenstadtblues - Niederrhein Krimi
auch die Spur. Sie war einmal dort, aber einige Tage früher. Blöderweise können die Spürhunde keine Datumsangabe machen.« Ärgerlich haute Ermter mit der flachen Hand auf den Tisch. »Entschuldigung«, sagte er dann.
»Möchten die Herrschaften etwas trinken?« Ein junger Mann mit verwegener Frisur reichte ihnen die Speisekarte.
»Ein großes Königshofer«, bestellte Ermter. »Großen Hunger habe ich nicht, aber vielleicht eine Kleinigkeit.«
»Ich nehme einen trockenen Weißwein«, sagte Sigrid, ohne in die Karte zu schauen, »die gemischten Vorspeisen und einen Salat mit Ziegenkäse.«
»Salat Bretagne, geht klar. Und Sie? Vielleicht ein Crêpe?« Der junge Mann schaute Ermter an.
»Crêpe klingt gut.« Ermter überflog die Karte. »Mit Camembert und Preiselbeeren.«
»Kommt sofort!«
Sigrid blickte sich um. »Ich bin so froh, dass uns Martina und Jürgen einmal zum Brunch mit hierhergenommen haben, sonst hätten wir dieses Lokal nicht entdeckt. Wo ist Jürgen eigentlich? War er nicht auch im Präsidium?«
»Jürgen ist nach Spaichingen gefahren.« Ermter resümierte die Ereignisse für seine Frau. »Wie du siehst – wir haben nichts wirklich.«
»Und diese Schwägerin?«
»Das ist mir alles immer noch zu vage. Ich traue ihr auch nicht den kaltblütigen Mord an zwei Menschen zu. Und dann fährt sie los, holt das Geld ab und geht ins Spielcasino. Nein, das fühlt sich nicht richtig an.« Er trank einen großen Schluck von dem Bier. »Aber vielleicht klärt sich das alles bald auf.«
Ermter nahm die Hand seiner Frau und hielt sie fest. »Das ist aber nicht der Grund, weshalb ich hier bin, oder?«
»Nein.« Sigrid verzog das Gesicht.
»Was ist es dann?«
»Nun, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll«, sagte sie leise, entzog ihm ihre Hand und sah auf den Tisch.
Ermter lehnte sich zurück. Plötzlich hatte er einen ganz schlechten Geschmack im Mund, und sein Bauch grummelte. »Sag es einfach«, presste er heraus und fragte sich, wie man sich auf schlechte Nachrichten vorbereitet.
»Julia …«
»Ja?« Julia, ihre Tochter, war gerade zwanzig geworden. Sie hatte Abitur gemacht, wusste aber nicht so recht, was sie studieren oder welche Ausbildung sie machen sollte. Nach dem Schulabschluss hatte sie deshalb ein soziales Jahr angefangen und betreute behinderte Kinder an der Montessori-Grundschule.
»Julia hat seit ein paar Wochen einen neuen Freund.«
»Ja, das weiß ich. Das ist aber doch nicht tragisch, oder? Kennst du ihn? Mir wollte sie nichts weiter erzählen, aber Mütter und Töchter …?« Ich rede mich hier um Kopf und Kragen, dachte er, ich sollte ihr einfach nur zuhören.
»Ja, ich habe ihn gesehen.« Sigrid räusperte sich wieder. »Er … ist aus schwierigen Verhältnissen.«
»Das heißt?«
»Ich glaube, er ist emotional instabil.«
»Sigrid, was willst du mir sagen?«
»Julia will ausziehen. Sie will mit ihrem Freund zusammenziehen.«
»Was?« Beinahe hätte Ermter das Bierglas umgeschüttet. »Mein kleines Mädchen?«
Seine Frau nickte stumm.
»Aber … wer ist der Kerl denn? Und inwieweit ist der instabil?«
»Er heißt Florian.« Sie stockte. »Es ist Jürgens Sohn«, setzte sie dann leise hinzu.
»Nein!«
SECHZEHN
Das Handy piepste, und Jürgen Fischer drehte sich seufzend auf die Seite. Er hatte tief und fest geschlafen, es fiel ihm schwer aufzuwachen, aber das penetrante Geräusch bohrte sich in seine Gehirnwindungen, pochte hinter seinen Augen. Er zwang sich, diese zu öffnen.
Es roch fremd, es fühlte sich auch fremd an, und auf den ersten Blick wusste er nicht, wo er war. In der Klinik? In einer Reha-Maßnahme? Seine Schulter schmerzte, aber nicht so sehr wie früher, wie damals. Das Handy auf dem kleinen Nachtschränkchen piepte und vibrierte. Er nahm es, drückte den Knopf, das Geräusch verstummte. Es war die Weckerfunktion. Ich muss aufstehen, dachte Fischer und schaute sich um. Natürlich, ich bin im Kloster auf dem Dreifaltigkeitsberg, fiel ihm ein.
Er duschte und zog sich an. Dann folgte er dem Duft von gebratenem Speck und frischem Kaffee durch den hellen Flur. Im Refektorium war der Tisch gedeckt.
»Ich bin Bruder Johannes, der Koch.« Der Pater begrüßte ihn freundlich. »Die anderen kommen gleich. Wir sprechen zuerst ein Gebet, bevor wir Platz nehmen. Ihr Platz ist dort vorn, am Ende der Tafel.«
Pater Pius kam und reichte Fischer die Hand. »Sie sind bei der Mordkommission, wenn ich Frau Hälble richtig verstanden
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