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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Abfalleimer.
    Tino wedelte stolz und sah zu, wie Lea sich die Hände wusch.
    »Das ist ein Liebesbeweis«, sagte ich.
    »Ich verzichte gerne. Komm, gehen wir auf die Terrasse.
    Möchtest du ein Glas Wein? Der Nachbar hat eine Rebe. Er hat mir eine Flasche vin flétri geschenkt. Mal sehen, wie der schmeckt.«
    Ich nahm die Flasche und zwei Gläser. Lea holte das vergoldete Feuerzeug von Michael, das die Marke Richard Hudnut trug, und einen Aschenbecher. Wir setzten uns in die Korbstüh-le. Ein großer Strauß Osterglocken stand in einer Vase, die einen Sprung hatte. Der Labrador legte sich zwischen uns auf die Fliesen. Lea entkorkte gekonnt die Flasche, goß ein. Bevor sie trank, näherte sie das Glas ihrer schmalen Nase und atmete den Duft des Weins ein.
    »Oh, der ist stark!«
    Der vin flétri war von der Trockenbeerenauslese, der soge-nannten zweiten Ernte. Die Trauben blieben hängen, bis sie vom Grauschimmelpilz befallen wurden, der den Beeren Wasser entzog und die gewünschte Edelfäule hervorrief. Der Wein hatte eine seltsame, fast violette Farbe. Ich nahm einen kleinen Schluck, dann einen zweiten. Lea nickte mir zu.
    »Gut nicht war?«
    »Er schmeckt nach Biskuit.«
    »Trink nicht zuviel, sonst wirst du beschwipst.«
    Wir tranken schweigend, die Stille war bedeutungsvoll und wohltuend. Eine Wespe summte vor meinem Gesicht. Nach einer Weile nahm Lea eine Zigarette, schlug das Feuerzeug im beweglichen Spiel ihrer gelenkigen Hände. Die Wespe zog einen Kreis und flog weg. Mir fiel auf, daß Leas Hand leicht zitterte, so daß ihr Armreif winzige Fünkchen warf.
    »Dann gehst du also?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Übermorgen. Naomi tanzt in Luzern. Wir fliegen gleich am nächsten Tag, von Zürich aus. Naomi hat mir die Flugkarte besorgt. Ich gebe ihr das Geld in Luzern zurück.«
    »Und wo wohnst du in Japan?«
    »Bei Naomi. Sie hat ein Studio, in Kyoto.«
    »Wenn du diese Chance nicht wahrnähmst, könntest du gleich ganz aufgeben«, meinte Lea.
    »Das denke ich auch.«
    Lea hielt die Zigarette hoch, stieß den Rauch elegant durch die Nase. Früher war sie Kettenraucherin gewesen.
    »In Japan leben. Das hätte ich vor ein paar Jahren gerne mal gewollt«, sagte sie.
    »Und jetzt nicht mehr?«
    Sie stemmte die Ellbogen auf den Tisch.
    »Ich komme mir so schwerfällig vor. «
    »Hast du noch im Kopf, wie es war?«
    »Damals? Im Krieg?«
    Ich nickte. Lea kniff die Augen zusammen. Sie war wie immer tadellos zurechtgemacht, ihre schwarzen Wimpern glänzten.
    »Es war eine stupide Zeit, sei froh, daß du sie nicht miterlebt hast. Viele Männer habe ich nicht gesehen. Entweder nur ganz alte oder junge. Die Männer waren fast alle an der Front. Sie taten das, was sie für ihre Pflicht hielten. Dafür habe ich viele Frauen und Kinder gesehen. Ich habe die Geduld gesehen, den Schmerz, die Stärke, das Mitleid. Frauen verfügen über ein ganz beachtliches Maß an Selbstlosigkeit. Das liegt wohl daran, daß sie Kinder in die Welt setzen. Sie sind reifer als Männer.
    Und ordnen sich unter. Warum, weiß der Kuckuck, mir würde das nicht im Traum einfallen. Aber Japan ist ein merkwürdiges Land: Alles macht den Eindruck, so zu sein, wie man es sich vorstellt. Und ist in Wirklichkeit ganz anders. Aber ich drücke mich unklar aus, das ist auch eine Alterserscheinung«, schloß sie verdrießlich.
    »Und heute? Du kennst es ja.«
    Sie hob ihr Glas an ihre Lippen.
    »Heute ist alles anders. Und auch wieder nicht. Als ich das letzte Mal mit Michael da war, fiel mir auf, daß alle Leute rannten. Himmel, dachte ich, was ist bloß mit den Japanern los?
    Dieser Streß! Wieder in Zürich, stellte ich fest, daß das Leben in der Schweiz viel hektischer ist. Die Japaner hatten bloß einen schnelleren Gang.«
    »Ich lerne Japanisch«, sagte ich.
    Sie musterte mich mit kühler Ruhe.
    »Was ist schon dabei? Ich habe mir Chinesisch beigebracht.
    Japanisch ist leichter. Ich nehme an, daß du sie treffen wirst«, setzte sie hinzu.
    »Wen?«
    »Hanako.«
    Ihre Stimme hatte plötzlich einen rauhen Klang. Ich starrte sie an. Zeitweise schien sie eine Gewißheit zu besitzen, die nichts mit den Gewohnheiten der Vernunft zu tun hatte. Sie bewegte sich außerhalb und jenseits aller Logik. Und machte sich nicht einmal die Mühe, es zu erklären.

»Wieso bist du dessen so sicher?«
    »Ich habe in die Tasse geschaut, du stehst im Mittelpunkt von etwas Besonderem.«
    Das tat sie manchmal: Sie las im Kaffeesatz, wie eine Bedui-nenfrau. In mir begann ein Beben,

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