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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Erscheinung eine besondere Dichte. Aiko saß neben ihm auf einem Kissen, nickte mir still und aufmunternd zu. In ihren Augen schimmerte Unruhe, eine Art fragende Besorgnis. Sie mochte denken, daß ich eingeschüchtert war; ich erweckte oft diesen Eindruck, wenn ich mich konzentrierte. Alwin kam mir in den Sinn.
    »Dein Gesicht wird ganz eng, als trockne es zusammen«, hatte er unlängst dazu bemerkt. Ach, Alwin, dachte ich, mit einem flüchtigen Stich im Herzen, sieh nur, wie ich dich vergesse…
    Draußen raschelte Wind; die Papierwände bebten in dieser stetigen, huschenden Berührung. Die Neonröhre verströmte senkrechtes Licht, als regne es Helligkeit; alle Instrumente traten überdeutlich hervor, mit ihren Formen und Farben und Vergoldungen. Weihrauchgeruch mischte sich in die Ausdün-stung der Binsenmatten, warm wie ein Atem. Ich nahm das alles sehr genau wahr. Der Raum, in dem man tanzen wird, ist eine besondere Welt. Inzwischen lauschte ich auf Sagons tiefe, wohlklingende Stimme; seine Erläuterungen spulten sich in meinem Gehirn ab. Er sprach unbefangen und sachlich.
    Manchmal erschien es, als ob er die Worte mit den Händen formte. Diese Gesten waren sehr schön, und die scharf umris-senen Schatten seiner Ärmel fielen auf die weiche Fläche der Matten. Seine Einführung war knapp, warf jedoch einen Lichtschimmer auf das, was mir bevorstand. Bugaku, erklärte er, enthält Einflüsse aus dem ganzen asiatischen Festland, aus Korea, der Mandschurei, Indien und Südostasien. Die Tänze werden in Schreinen, buddhistischen Tempeln und am kaiserlichen Hof aufgeführt. Im Laufe der Zeit hat sich Bugaku Elemente des Theaters angeeignet, jedoch in rudimentärer Form.
    »Die Musik stammt aus China. Sie beruht auf der pentatoni-schen Tonleiter. Die fünf Töne entsprechen den fünf Himmelsrichtungen – das Zentrum eingeschlossen – und den fünf Elementen; Feuer, Wasser, Holz, Metall, Erde; den fünf Tugenden und den fünf Lastern, den fünf Farben und den fünf Planeten. «
    Alles war anders als die Welt, aus der ich kam. Und auch wieder nicht. War es möglich, in diese neue Welt hineinzu-wachsen? Ihr im Tanz Ausdruck zu geben? Ich würde es Be-rufsrisiko nennen, dachte ich, mit einer Spur von Ironie, gerade als Sagon wissen wollte, ob ich noch eine Frage hätte. Vorläufig nur eine, und die war sehr konkret.
    »Ich würde gerne wissen, wie groß die Bühne ist.«
    »Sie mißt sieben mal sieben Meter, unabänderlich.« Die Antwort kam von Aiko. Sie sprach Japanisch, aber so klar und einfach, daß ich jedes Wort verstand. »Die meisten Tänze lassen sich mit zwanzig Minuten berechnen.«
    Ich sagte nicht, das ist wenig. Ich wollte mich nicht lächerlich machen. Es gibt Tänze, auf fünf Minuten reduziert, die jeden Muskel zu Brei kneten.
    Der Unterricht begann mit einigen Grundübungen. Aiko trug ebenfalls ein Trikot, dazu Beinstulpen. Als sie mir die ersten Schritte zeigte, bewunderte ich die Muskelkraft ihrer kleinen, drahtigen Gestalt. Ich lernte zuerst, meine Bewegungen zu drosseln, mich dem Rhythmus anzupassen, den Sagon mir angab. Seine Stimme war ganz erstaunlich, ein tiefgestimmter, wuchtiger Ton, dem eine besondere Anspannung der Kehl-kopfmuskeln noch stärkere Resonanz verlieh. Sein Brustkorb übertrug die Schwingungen, schuf ein Klanggewebe, vibrierend und dröhnend, das mich eher an eine Flöte als an eine menschliche Stimme erinnerte. Dabei gab er den Takt an, ein langsames, sehr kräftiges Händeklatschen, dem Trommelschlag ähnlich. Zuerst empfand ich den Rhythmus als irritierend, merkte aber bald, daß in seiner Förmlichkeit eine geballte innere Kraft steckte, eine angestaute Energie wie im Auge eines Zyklons.
    Jede Bewegung war genau vorgeschrieben, sogar die Position der Hände durfte nicht um einen Fingerbreit abweichen – und das seit tausend Jahren!
    Nach einer Weile rebellierte mein ganzer Körper dagegen; jeder Muskel, jede Sehne litt Qualen unter diesem Zwang. Es war ein Tanz, der nicht die geringste Improvisation zuließ; und doch lag dahinter etwas anderes, etwas Großes und Fremdes.
    Es machte mich benommen wie starker Wein und reizte meine Neugierde. Aus der ältesten Hofkunst der Welt, zu purer Abstraktion versteinert, flackerte – für den Bruchteil eines Atemzuges nur – eine Zaubermacht hervor, die bis in die Ursprünge der Menschheit zurückreichte. Sie war irgendwo, vielleicht sogar in mir, aber noch blieb sie flüchtig und gegenstandslos wie ein Lichtfunke. Routine war hier

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