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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Erbe seiner Väter im Blut. Eine Zeitlang hatte er wohl Mühe, sich in dieser Verbindung zu erkennen. Aber da hatte ihn die Schlange schon geküßt. Und jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit.«
    Abends, bei Sagon. Zum erstenmal wurde ich mit der Gruppe unterrichtet. Ungefähr dreißig Musiker und Spieler, mit denen ich von jetzt ab zusammenarbeiten sollte. Das machte mir keine angst; ich hatte schon mehrmals in größeren Ensembles mitgewirkt. Gleichwohl erstaunte mich, wie jung einige der Künstler waren: verschüchterte Jungen und Mädchen, kaum zwanzigjährig, mit schönem glänzendem Haar, manche mit einer dicken Brille auf der Nase. Sie gaben sich die größte Mühe, keine Neugierde zu zeigen; wenn unsere Augen sich unabsichtlich trafen, sahen sie sofort weg, und die Mädchen ließen ein verlegenes Kichern hören. Sagon stellte mich vor, wobei er mir mit herzlicher Gebärde die Hand auf die Schulter legte. Über die Sache zwischen Daisuke und mir hatten wir kein Wort verloren. Sagon erklärte, daß ich den Ranryô-ô spielen würde. Die Jungen rissen die Augen weit auf, verzogen die Stirn, stießen kleine Zischlaute der Überraschung aus. Die älteren Mitglieder, vorwiegend Männer, zeigten kaum Gefühl; einige mochten sich insgeheim und leicht bekümmert die Frage stellen, wieso Sagon Mori auf diese Schnapsidee kam. Zu dem Ensemble gehörten zwei ältere Frauen; die eine spielte Oboe, die andere Zither. Beide waren klein, unscheinbar, doch mit scharfem, lebhaftem Blick. Ich störte mich nicht an ihrer an-fänglichen Kühle. Die Experimentierfreudigkeit des Meisters mußte bekannt sein. Sie diente sogar als Garantie. Man würde mich an der Qualität meines Könnens messen, ohne Vorurteile, aber auch ohne Nachsicht.
    Jetzt, da das Orchester beisammen war, überkam mich stärker als zuvor das Gefühl, eingetaucht zu sein in ein anderes Bewußtsein, getragen von der gleichen Verzückung wie die Spieler und Musiker um mich herum. Das war nicht außergewöhnlich, jeder Künstler kennt dieses Gefühl. Man darf ihm nicht vollkommen erliegen. Bugaku mit seinen uralten Konventionen und Grundmustern beginnt mit einer völligen Entperso-nalisierung. Die mußte ich mir jetzt gefallen lassen. Also vollführte ich die vorgeschriebenen Sequenzen, so bescheiden, exakt und beherrscht wie eine Ballettschülerin bei ihrem ersten Tanzwettbewerb. Ich zeigte weder Übereifer noch Unbekümmertheit; Selbstbehauptung wurde zu einem Fremdwort. Sagon inszenierte ganz aus der Musik, sang selbst die meisten Ge-sangsphasen. Seine starke Stimme durchlief alle Tonlagen; ich hatte das Gefühl, daß er den gesamten Körper als Stütze benutzte, um sich ganz der Atmung hinzugeben. Die Bewegungen des Tanzes, von der feierlichen Musik getragen, waren langsam wie kleine Ewigkeiten. Korrekturen der Kopf- und Körperhal-tung, der Blickrichtung nahm Sagon selbst an den Schülern vor, ohne den Bewegungsablauf zu unterbrechen. Er schmiedete Tänzer und Musiker zu einer Einheit zusammen, es kam mir wie ein Wunder vor. Und als nach zwei Stunden die Probe abgebrochen wurde, waren wir alle verausgabt, am Rande unserer Kraft. Von den jüngeren Schülern wurde erwartet, daß sie kleine Handreichungen machten; sie halfen Aiko in der Küche, brachten Tabletts mit Tee, Kaffee und Gebäck. Sie stellten Aschenbecher hin, verteilten heiße Tücher, um sich Gesicht und Hände zu erfrischen. Die Männer und Frauen saßen im Halbkreis am Boden, rauchten und tranken Tee, machten gelegentlich eine bestätigende Bemerkung oder stellten Fragen.
    Nach dieser ersten gemeinsamen Trainingsstunde merkte ich, wie das Eis langsam taute. Die beiden Frauen nickten mir wohlwollend zu, lächelten, zeigten sich erfreut, daß ich schon etwas japanisch konnte. Die Männer ließen zustimmende Grunztöne hören, undurchdringlich höflich, aber weit weg. Der Bann war noch nicht gebrochen. Ich blieb eine Ausnahme, eine seltsame Erscheinung in ihrem Kreis. Aber sie akzeptierten mich. Im Augenblick durfte ich nicht mehr verlangen.
    Als ich am Morgen erwachte, umfing mich graues Licht; der Wind sprühte Regen an die Scheiben, die Dachtraufe lief.
    Durch die wirren Geräusche hörte ich das Telefon klingeln.
    Zwischen Wachen und Träumen erlebte ich einen kurzen Augenblick der Verwirrung, bevor ich den Arm ausstreckte und den Hörer abnahm.
    »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken«, sagte Naomi.
    Ich war sogleich hellwach. Naomi! Eine vertraute Regung kehrte wieder, freudig und

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