Seidig wie der Tod
sechs Jahre älter war und Desiree fast ihre gesamte Schulzeit in Internaten in New York und in der Schweiz verbracht hatte.
„Ich bin Ihrer Großmutter einmal begegnet“, sagte Roman: „bei einer Dinnerparty meiner Eltern.“ Er runzelte die Stirn, als er an jenen Abend zurückdachte, und fragte sich, wie eine solch grimmige alte Vettel mit dieser warmherzigen, gefühlvollen Frau verwandt sein konnte. „Sie war recht … imponierend.“
„Ja.“ Desirees Finger umklammerten die Gabel. „Das war sie.“
Und kalt wie ein Gletscher und gefühllos wie ein Stein, fügte sie im Stillen hinzu. Desiree war zehn Jahre alt gewesen, als ihre Eltern starben und sie zu Olivia Porter, ihrer Großmutter mütterlicherseits, geschickt wurde. Mit elf verstand sie nur zu gut, warum ihre Mutter mit siebzehn durchgebrannt war, um Lucien „Lucky“ Dupree zu heiraten. Ein Fischer aus Iberville, war Lucky ein ganz anderer Mann gewesen als jene jungen, reichen Müßiggänger, die Katherine Porter gewöhnt gewesen war.
Aber er hatte viel gelacht und seine Frau mit einer Glut und Leidenschaft geliebt, wie sie sie noch nie kennengelernt hatte. Als neun Monate später Desiree zur Welt kam, hatte er auch seine kleine Tochter in sein Herz geschlossen. Die einzige dunkle Wolke in ihrem Leben war die Tatsache gewesen, dass Katherine keine weiteren Kinder mehr gebären konnte. Aber da Lucky selbst eine sehr große Verwandtschaft besaß, hatte es keine Tragödie für sie dargestellt.
Dann war Katherine Porter Dupree erkrankt. Um kein Geld für Arztrechnungen auszugeben, hatte sie die Schmerzen ignoriert, bis es zu spät gewesen war. Sechs Monate vor Desirees zehntem Geburtstag war ihre Mutter an Krebs gestorben. Die Beerdigung fand in Iberville statt. Olivia Porter, vom Tod ihrer einzigen Tochter unterrichtet, war nicht dazu erschienen.
Zwei Wochen nach der Beerdigung ihrer Mutter hatte das Schicksal von Neuem zugeschlagen. Lucky war auf dem Heimweg von Baton Rouge gewesen, als die Lenkung seines uralten Lastwagens versagte, der Wagen ins Schleudern geriet und in den Sumpf stürzte. Um Desiree zu trösten, hatten Freunde und Verwandte ihr versichert, dass ihr Daddy nun bei ihrer Mommy war.
Was sich nicht als allzu großer Trost für sie erwies, da sie selbst zurückgeblieben war. Luckys Schwester Evangeline hatte Desiree unverzüglich bei sich aufgenommen und sie wie ihr eigenes Kind behandelt.
Und das war der Moment gewesen, in dem Olivia Porter in Erscheinung trat. Den Gerichtsbescheid schon in der Hand, erschien sie in dem alten Haus am Bayou und erklärte sich zum Vormund ihrer Enkelin. Und obwohl Evangeline, unterstützt von ihrem Mann und sämtlichen acht Kindern, sich heftig zur Wehr setzte, hatten Olivia Porters Beziehungen letztendlich mehr ausrichten können. Außerdem hatte sie keine Skrupel, Desiree einem Vormundschaftsprozess auszusetzen, über den in sämtlichen Zeitungen berichtet wurde.
Roman beobachtete Desirees Gesicht, das sich im Verlauf ihrer Erzählung immer mehr verdüsterte. „Es muss sehr hart für Sie gewesen sein“, bemerkte er mitfühlend.
Seine Worte brachten sie in die Gegenwart zurück. „Es war nicht das, was ich mir gewünscht hätte.“ Ihr Ton verriet nicht die geringste Emotion.
Roman, der sie scharf beobachtete, entging jedoch nicht der traurige Ausdruck, der in ihrem Blick erschien. „Ich war auch ein adoptiertes Kind“, sagte er leise.
„Wirklich?“ Sie erinnerte sich, ihre Großmutter von den Falconers sprechen gehört zu haben, und fragte sich, wieso dieses Detail nie zur Sprache gekommen war. „Das wusste ich nicht.“
„Nicht vielen Leuten ist das bekannt.“
Sie selbst hatte ihre Eltern wenigstens an den Tod verloren. Wie hart musste es erst sein, von seinen leiblichen Eltern im Stich gelassen zu werden! „Haben Sie je versucht, Ihre wahren Eltern zu finden?“
„Selbstverständlich.“ Roman fand es ein bisschen ironisch, dass ihre erste einigermaßen normale Unterhaltung sich um etwas drehte, das ihm vor Jahren solchen Schmerz verursacht hatte. „Meine Eltern versprachen mir, wenn ich achtzehn wäre, alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um mir dabei zu helfen.“
„Und haben sie es getan?“
„Nein. Weil es mich mit achtzehn nicht mehr interessierte. Ich war reif genug, um zu begreifen, dass meine wahren Eltern jene Menschen waren, die für mich gesorgt und mich liebevoll erzogen hatten.“
Er hob seine Hand und zeigte Desiree einen altmodischen goldenen Ring mit
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