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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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die Nerven. Dauernd läufst du mir nach wie ein Hund, und ich bekomme Lust, dir Fußtritte zu versetzen. Du machst mich bösartig, Bo.«
    Eigenartig, dieses Gespräch vor der Pizzeria, bei dem wir uns zum ersten Mal wirklich wichtige Dinge sagen und uns in die Augen sehen. Er blinzelt. Er lügt. Ich bin sicher, dass er lügt. Er sagt das, um mich loszuwerden. Es gibt gar keine Frau, ich meine . nicht eine Frau, die zählt. Ich habe gesehen, wie er mit Frauen umgeht. Er liebt sie nicht. Er liebt niemanden. Und wenn er mich anlügt, dann, weil ich ihm etwas bedeute. Ein Nichts belügt man nicht. An diese Idee klammere ich mich, während Johnny losgeht, einen Fuß auf dem Gehsteig, einen im Rinnstein, lässt er das Wasser vor sich aufspritzen wie ein Kind.
    »Wie heißt sie?«
    »Das geht dich nichts an. Ich allein habe das Recht, ihren Namen auszusprechen.«
    Verzweifelt suche ich nach einer Boshaftigkeit, die ich ihm sagen könnte, und stoße schließlich hervor:
    »Vielleicht wird sie heute Nacht umgelegt.«
    »Sie ist keine Hure.«
    »Was macht sie?«
    »Sie liebt mich. Gut, ich glaube, hier trennen sich unsere Wege, Bo.«
    Er öffnet die Tür seines Toyota. Schnell gehe ich um den  Wagen herum und stehe vor der Beifahrertür.
    »Tut mir Leid, ich habe eine Verabredung.«
    Er setzt sich hinter das Steuer. Ich renne hinter dem Wagen her, klammere mich am Türgriff fest, falle auf die Knie und spüre, wie der Stoff meiner Jeans zerreißt und der Asphalt meine Haut aufschürft. Ich hänge an der Tür, mein Arm kugelt aus, der verletzte Arm schlägt auf den Boden, ich beiße die Zähne zusammen, er nimmt eine Kurve, ich werde gegen einen Laternenpfahl geschleudert. Alle Lichter erlöschen.
    Als ich die Augen wieder öffne, beugt sich Bull über mich. Ich bin völlig benommen, habe Mühe, klar zu sehen. Etwas Kaltes berührt meinen Unterleib. Er hat meine Jeans geöffnet, in der Hand hält er ein Springmesser. Dieser Drecksack! Noch ehe mein Kopf es beschlossen hat, schießen meine beiden Knie in sein Gesicht. Er fällt hintenüber, ich rolle mich auf die Seite, trete ihm zwischen die Beine, er jault, ein anderer Tritt in den Magen und noch einer und noch einer … Er brüllt: »Hör auf, Bo, das war doch nur ein Scherz!« Aber er muss für Johnny büßen, für meinen Vater und alle Arschlöcher dieser Welt, und ich glaube, ich hätte ihn umgebracht, hätte ich nicht wegen meiner Hand aufhören müssen.
    Youssef steht neben mir und sagt leise, mit abgewandtem Blick:
    »Verschwinde, der Chef kommt.«
    Er richtet mich auf. Bull stöhnt und krümmt sich zusammen. Blut rinnt über meine Wange, vermutlich habe ich mir an der Straßenlaterne die Stirn aufgeschlagen. Ich kämpfe mich durch die finsteren Gassen der Altstadt, während der Wirt und seine Kumpel gellende Schreie ausstoßen, als sie Bull finden.
    Als ich mein Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe entdecke, sage ich mir, dass ich wirklich nur noch eine sehr entfernte Ähnlichkeit mit der eleganten Elsa von heute Nachmittag habe. Durch die Risse meiner verdreckten Jeans sieht man meine aufgeschürften Knie. Ein Ärmel meines Sweatshirts ist abgerissen. Aus einer Wunde in meiner Kopfhaut rinnt das Blut und überzieht mein Gesicht mit einem klebrigen Film. Mit dem Arm in der Schlinge sehe ich aus wie jemand, der gerade einen Unfall hatte. Der Schein eines Blaulichts drängt mich in eine dunkle Türnische: Ich habe wirklich keine Lust, den Bullen Erklärungen abzugeben. Der Wagen fährt langsam an mir vorbei; sie sind völlig damit beschäftigt, sich zwischen den Mauervorsprüngen der schmalen Gasse hindurch zu lavieren. An der Straßenecke biegen sie ab. Ich verlasse mein Versteck und schleppe mich zu Lindas Kneipe.
    Ausrufe, freundschaftliche Ermahnungen,  Wasserstoffperoxid, Desinfektionsmittel, das über meine Stirn rinnt. Erschöpft erreiche ich die Mansarde. Als ich mein Sweatshirt ausziehe, stelle ich fest, dass ich mit blauen Flecken übersät bin. Sich am Türgriff eines fahrenden Autos festzuklammern ist eine mir bisher unbekannte Art, sich Schmerz zuzufügen. Meine weiße Haut mit den blau-schwarzen Flecken erinnert an das Fell eines Schneeleoparden, zu diesem Bild passen auch meine hervorstehenden Rippen. Und wie der Leopard lege ich mich allein und zitternd auf der durchgelegenen Matratze schlafen, den verletzten Arm auf der Brust, den anderen über den Augen.
    Angenehme Wärme. Ich schiebe die Decke zurück. Dank der Fensterluke im Dach ist das

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