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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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gleich eingeschlafen, weil sie mehr als gewöhnlich getrunken hat.«
    »Weiß sie, dass Maeva keine . keine Frau war?«
    »Alle wissen es. Ich sage nicht gerne Schlechtes über Tote, aber mit dem Gesicht .«
    »Und niemand hat etwas gehört? Sie sagten, sie sei durch Messerstiche getötet worden. Sie hat sich doch sicher gewehrt und geschrien!«
    Bei der Vorstellung, wie Maeva in ihrem hübschen Wohnzimmer verblutet, wird mir übel.
    »Die Wohnung unter ihr ist leer. Die Mieter sind im Urlaub«, antwortet er. »Der Mörder hat die Wohnung nicht aufgebrochen, wir nehmen also an, dass sie ihn hereingelassen hat. Kaum war er drin, hat er ihr die Kehle durchgeschnitten … Sie konnte nicht mehr schreien. Aber sie war nicht gleich tot. Er hatte noch Zeit genug, sie mit etwa zwanzig über den ganzen Körper verteilten Messerstichen zu quälen.«
    Ich will es nicht hören. Ich will es nicht wissen. Ich will mir nicht vorstellen, wie die Klinge auf sie niedersaust, die verfluchte Angst, der wahnsinnige Schmerz . Ich schließe die Augen. Durch all die Filme, die man gesehen hat, kann man sich ein Verbrechen so problemlos vorstellen, als wäre man dabei gewesen. Verschmutzung der Fantasie. Ohne es zu wollen, sehe ich immer wieder ihren Todeskampf vor mir . wie sie den Finger in das Blut taucht und meinen Namen an die Wand schreibt. Aber da stimmt etwas nicht.
    Der Pastor schweigt und beobachtet mich.
    »Hast du mir etwas zu sagen?«
    »Nein. Ich verstehe das nicht. Warum versucht man, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben?«
    »Vielleicht hast du Feinde?« murmelt er und gibt damit stillschweigend zu, dass er mich nicht wirklich verdächtigt. Ich weiß nichts von Feinden. Von wirklichen Feinden. Das sage ich ihm.
    »Ich bin nicht wichtig genug, um Feinde zu haben.«
    Er blinzelt mir zu.
    »Sehr hübsch. Das werde ich bei Gelegenheit mal anbringen. Eine richtige Philosophin, unsere kleine Bo.«
    Ich hasse es, wenn man in einem so blöden Macho-Ton mit mir redet. Es klopft an der Tür, jemand reicht ihm ein Schreiben herein und geht wieder. Der Pastor liest es langsam.
    »Das ist der Autopsiebericht von Jesus Ortega. Keine schöne Angelegenheit. Der Mörder hat den Thorax aufgeschnitten und im Innern ein wenig aufgeräumt, bevor er plötzlich aufgehört hat.«
    Ich beiße die Zähne zusammen und versuche, mir die Szene nicht vorzustellen.
    »Du kanntest auch Jesus.«
    Das ist keine Frage. Er will doch wohl nicht versuchen, mir nun auch noch Jesus anzuhängen! Und warum nicht alle unaufgeklärten Morde, die sich ereignet haben, seit ich aus dem Knast rausgekommen bin? Ich zeige ihm wieder meinen Arm.
    »Als man ihn getötet hat, war ich im Krankenhaus. Wir haben die Bahre vorbeirollen sehen.«
    »Stimmt! Da siehst du mal, was du für ein Glück hast!« Das Telefon läutet. Er hebt ab und sagt zwei-, dreimal »Ja«, dann »Warte eine Sekunde«. Zwei Blätter kommen aus dem Drucker. Er reicht sie mir.
    »Unterschreib da unten, das ist deine Aussage.«
    Ich überfliege rasch den Text. Nichts dagegen einzuwenden. Ich unterschreibe.
    »Okay, du kannst gehen. Aber verlass die Stadt nicht.«

KAPITEL 7
    Betroffen und perplex stehe ich vor der Tür. Offenbar gibt es Dinge, die wesentlich wichtiger sind als drei, vier Morde an irgendwelchen Huren. Wenn das so ist, hat Maevas Mörder nichts zu befürchten. Und wenn es derselbe Mörder war wie in den anderen Fällen zuvor, nur ohne Hackbeil? Aber warum sollte er seinen Modus Operandi geändert haben? Hat er sein Hackbeil verloren? Und vor allem, was hat mein Name bei der Sache zu bedeuten? Wollte Maeva mir etwas sagen? Hat sie das wirklich selbst geschrieben? Man wird die Ergebnisse der graphologischen Untersuchung abwarten müssen.
    In die Reihe der ungeklärten Fragen gehört auch die folgende: Hält der Pastor mich wirklich für den Täter? Wird er versuchen, mir die Sache anzuhängen, um schnell einen Schuldigen zu finden und der Flut von Schlagzeilen der Art »Wahnsinniger Mörder noch immer auf freiem Fuß!« Einhalt zu gebieten?
    Wütendes Hupen. Ich springe zur Seite. Völlig in Gedanken versunken, hätte ich mich beinahe überfahren lassen. »Dumme Kuh!«, brüllt der Fahrer. Ich werfe ihm eine Kusshand zu. Welch ein Zufall: Unbewusst habe ich den Weg zu Maevas Haus eingeschlagen, zum Haus des verstorbenen Raymond Makatea. Wenn ich ihn bei seinem wahren Namen nenne, ist es, als würde ich von einem Unbekannten sprechen. Ich versuche, mir den jungen Raymond im Anzug vorzustellen.

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