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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Garnier kontaktieren. Er sei ein Cousin von mir, und eine unserer Tanten sei gerade verstorben. Sichtlich unschlüssig mustert er mich eingehender. Ich hätte besser Onkel sagen sollen.
    Ich füge hinzu, dass besagte Tante umgebracht worden ist. Das scheint ihn zu beeindrucken. Er hüstelt und erkundigt sich, auf welche Weise sie zu Tode gekommen ist.
    »Mit einer Klaviersaite«, erzähle ich. »Die Saite hatte der Mörder aus dem Steinway, auf dem sie so gern den Trauermarsch von Chopin spielte.«
    »Tja, das Problem mit Steinway-Flügeln ist, dass sie weit weniger zuverlässig sind, als gemeinhin angenommen wird«, erklärt er mir mit gerunzelter Stirn, während er auf der Tastatur seines Computers klimpert.
    Er schreibt mir eine Adresse und eine Telefonnummer auf und reicht mir den Zettel mit dem Hinweis, diese Information sei strikt vertraulich. Ich bedanke mich und spüre beim Hinausgehen deutlich seine Blicke auf meinem Hinterteil. Das Amüsante an diesem Typus Mann ist, dass sich unter seinen Blicken selbst ein Bügelbrett mit zwei Rosinen in eine Jayne Mansfield verwandelt.
    Ich falte den Zettel auseinander, den er mir gegeben hat, wobei er aufreizend meine Hand berührte. Die Adresse ist mir bekannt. Ich gehe in die nächste Telefonzelle und probiere es mit der Telefonnummer. Es klingelt einmal, zweimal, dreimal .
    »Hier ist der Anrufbeantworter von Farida, bitte hinterlassen Sie mir eine Nachricht.«
    Ich brauche dringend Bewegung.
    Die Geräusche der Stadt, ihr Rhythmus, ihr fröhliches Lärmen. Überall Leute, Lichter, Autos. Nächtliches Treiben, durch das ich schwirre wie eine Motte auf der Suche nach einem Licht, an dem sie sich die Flügel verbrennen kann.
    Es riecht nach Essen; ein Restaurant nach dem anderen, Jongleure geben auf der Straße eine Vorstellung, ein Hund bellt, in der Ferne hört man Polizeisirenen, Stimmengewirr, der Widerhall von Fernsehern, ein Typ klimpert auf der Gitarre, ein anderer spielt Geige, Rosenverkäufer, Schmuckverkäufer, ein Junge umkreist ein Mädchen mit Bürstenfrisur, das ihn anschreit: »Verdammt noch mal, nein! Ich rede seit einer Stunde mit Engelszungen auf dich ein! Lass mich gefälligst in Ruhe, du stinkst!«
    Zungen . Bull kannte ein Detail, das nicht in den Zeitungen erwähnt wurde: die Sache mit Marlenes Zunge. »Nicht nur du hast Freunde bei der Polizei.«
    Marlene/Derek. Derek/Bull? War Bull etwa als Spitzel für Derek unterwegs? Marlene erzählt Derek, dass ein Tahitianer Maeva bedroht. Derek, der ihr einen Gefallen schuldet, bittet Bull, der Sache nachzugehen. Bull folgt dem Tahitianer und stößt - Bingo! - auf den Hurenmörder. Der wiederum macht kurzen Prozess: Marlene stirbt; Bull stirbt; Derek stirbt .
    Als Bull starb, bekam ich es mit der Angst zu tun und bin sofort abgehauen. Doch der Mörder war mir ja gerade über den Weg gelaufen. Es könnte doch sein, das Bull etwas Aufschlussreiches, irgendwelche Beweise bei sich versteckt hat. Ich mache augenblicklich auf dem Absatz kehrt und gehe zu seiner Wohnung.
    Ich warte, bis niemand vorbeikommt, und schleiche mich dann ins Haus. Statt des Geruchs von frischer Farbe erwartet mich lediglich die gewohnte Duftwolke nach frischer Katzenpisse.
    Bulls Appartement ist abgeschlossen, die Tür von der Polizei versiegelt. Ich trete kräftig gegen das Schloss, und die Tür öffnet sich: Es ist jetzt keine Zeit mehr für Zimperlichkeiten, und auf ein Vergehen mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an! Ich schließe die Tür hinter mir.
    Auch hier riecht es, wie bei Maeva, nach Schmerz und Tod. Ich vermeide es, einen Blick in die Küche zu werfen, auf dem Boden das noch nicht weggewaschene Blut. Ich bin inzwischen ein richtiger Experte für Post-Mortem-Besuche. Ich durchstöbere das Zimmer, ohne recht zu wissen, wonach ich suche. Alte Busfahrscheine, McDonalds-Tüten, sein Wehrpass, Fotos von einem dicklichen, zahnlosen Jungen, der schon Bulls ausdruckslosen Blick hat, ein teurer Fotoapparat mit integriertem Zoomobjektiv, Essensgutscheine, ein japanischer Morgenstern, ein öliger amerikanischer Schlagring, rote Boxhandschuhe.
    Ich streife mir einen der Boxhandschuhe über und betrachte mich im Spiegel: nicht schlecht. Bo, die einarmige Boxerin gegen den maskierten Mörder! Paff, rechter Schwinger, linker Haken, Achtung, tänzelnde Ausweichbewegungen, zack, Beinarbeit, paff, paff, ich ducke mich, Achtung, paff, Aufwärtshaken! Ich bin derart konzentriert, dass ich gegen ein wackliges Regal stoße, das unter

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