Sein Anteil
anbieten können, sie durch den Regen zu begleiten. Er wusste, er hätte damit alles riskiert. Sie könnte später vielleicht irgendeinen Verdacht schöpfen, ihn irgendwie mit der Entführung in Zusammenhang bringen. Aber in diesem Augenblick wäre Anne-Marie ihm dieses Risiko wert gewesen.
Willem verfluchte sich selbst. Er kam sich mit seinem angebissenen Sandwich in der Hand lächerlich vor. Er starrte auf den menschenleeren Rasen. Anne-Marie war verschwunden. Aber er glaubte, weiterhin ihre Nähe zu spüren. Es wäre besser gewesen, sich zu kompromittieren, als gar nichts zu tun, sagte er sich, auch wenn er damit alles riskiert hätte.
Willem verfluchte sich, er verfluchte Hewitt, er verfluchte Pia und Nikita, er verfluchte die Entführung. Nie und nimmer könnte er ihre Tochter entführen. Jetzt nicht mehr! Er müsste es Pia und Nikita sagen. Sie könnten sich doch gemeinsam etwas anderes ausdenken, ein anderes Opfer suchen. Aber nicht ihre Tochter. Es müsste doch einen Ausweg geben.
Aber wie es Pia und Nikita beibringen? Er würde sich nur lächerlich machen, wenn er ihnen die Wahrheit sagte. Er müsste ihnen etwas anderes anbieten, irgendeine andere Möglichkeit, um an Geld zu kommen. Erst dann könnte er mit ihnen reden.
11
Am Sonntag war der Himmel wieder blau und klar. Willem hatte zunächst daran gedacht, wie schon so häufig, zum »White Horse« nach Parsons Green zu fahren, um in der üblichen Runde den Sonntagvormittag zu verbringen. Aber er war der Gesellschaft der selbstgefälligen Aufsteiger überdrüssig, die mit ihrem geschäftlichen Erfolg ebenso prahlten wie mit ihrem letzten Freitagabendbesäufnis.
Gegen vier Uhr nachmittags sollte er bei Nikita sein. Er müsste ihnen klar machen, dass sie sorgfältig planen, sich Zeit lassen, nichts überstürzen dürften. Er wollte nicht als Feigling dastehen, als jemand, der, sobald es ernst wird, kneift. Er müsste sie in dem Glauben lassen, dass er weiterhin der Boss ist. Ihm würde schon etwas einfallen. Aber er konnte jetzt nicht einfach aussteigen. Sonst würde er die Kontrolle verlieren, sagte er sich. Er müsste nur etwas Zeit gewinnen. Er wollte ihnen deshalb sagen, alles noch einmal gut zu überlegen und besser noch ein paar Wochen zu warten, bis sie jede Einzelheit festgelegt und jedes Risiko ausgeschlossen hätten.
Die orangefarbene Mappe mit den Zeitungsartikeln über Hewitt lag mitnahmebereit auf dem Tisch. Willem schrieb auf einen Briefbogen die Daten der Geschäftskarte ab, die Hewitts hübsche Assistentin ihm im Antiquitätengeschäft gegeben hatte. Die Privatnummer unterstrich er dreimal und versah sie mit einem dicken Ausrufezeichen. Er legte die Abschrift zu den Artikeln und Notizen. Die Karte selbst wollte er behalten.
Willem blätterte die »Sunday Times« durch, fand aber nichts über Hewitt. Warum auch? Die Zeitungen würden erst wieder zu Prozeßbeginn über den Fall berichten, oder wenn er eine überraschende Wendung nahm.
Das Fernsehen zeigte einen alten Truffaut-Film, »Das Geheimnis der falschen Braut«, mit Catherine Deneuve und Belmondo. Er hatte den Film mindestens dreimal gesehen. Das machte ihm nichts. Er liebte ihn. Zudem würde er ihm die Wartezeit verkürzen. Willem fragte sich, ob er genauso wie Belmondo in dem Film, genauso absolut eine Frau lieben könnte, für sie alles aufgeben würde, für sie sogar morden würde. Ja, er würde es tun. Auch wenn er wüsste, dass diese Frau eine Betrügerin, eine ehemalige Prostituierte ist, die ihn um sein Vermögen gebracht hat, sogar zu vergiften versuchte? – Anne-Marie war nicht wie Catherine Deneuve. Anne-Marie war weicher, mädchenhafter. Aber er würde für sie das Gleiche tun. Es wäre das Leben! Sobald Hewitt hinter Gittern säße, würde er sich Anne-Marie nähern. Dann würde das Leben beginnen.
Seine Idee, an Hewitts Geld heranzukommen, indem er seine Tochter entführte, kam ihm inzwischen wie ein Hirngespinst vor. Es gäbe sicherlich auch eine andere Möglichkeit, an Geld zu kommen. Inzwischen erschien ihm die ganze Entführung das Phantasieprodukt eines Kranken zu sein, der, wie er sich eingestehen musste, er selbst gewesen war.
Willem hatte keine Schwierigkeiten, Nikitas Haus zu finden. Es war ein kleines schäbiges Reihenhaus in einer Seitenstraße der Uxbridge Road. Er wäre früher da gewesen, wenn die Straßen nicht mit Ausflüglern verstopft gewesen wären. Auch hier waren an der Tür keine Namensschilder. Er drückte auf die
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