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Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Titel: Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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stärker, aber auch unendlich schwach.
    Doch jetzt war kein rosa Nebel da, nichts war in Reeves Herz außer kalter Entschlossenheit und brennendem Schmerz. Er überwand zwei weitere Buckel, bevor er den Abgrund erreichte, einen tiefen Riss, der sich in einer schartigen Linie bis zur Küste fortsetzte. Bei Hochwasser war der Grund der Schlucht von gurgelnden, mörderischen Seen überflutet. Momentan war er nur ein feuchtes Bett von schroffen Felsen. Da unten war es immer dunkel, zu jeder Tageszeit und bei jedem Wetter. Ein Ort der Schatten und nie ans Licht gehobener Geheimnisse. Reeve ging ganz dicht am Abgrund entlang. Er flößte ihm keine Angst ein – dazu war er ihm viel zu vertraut -, aber er hatte schon oft erlebt, wie seine Wochenendkrieger hier vor Ehrfurcht in die Knie gingen. Er suchte sich eine geeignete Stelle aus und legte sich auf die Lauer. Jetzt endlich nahm er sich die Zeit, seine Wunden zu untersuchen. Er blutete stark. Bei ausreichender Zeit hätte er sich einen improvisierten Verband anlegen können, aber er wusste, dass die Zeit zu knapp war.
    »Hey, Philosoph!«, schrie Jay. »Ist das Blut hier echt?« Eine Pause. »Schmeckt jedenfalls echt, also ist es das wohl! Soll ich dir was sagen, Philosoph? Ich hab im Lauf der Jahre ziemlich viel über Operation Stalwart nachgedacht. Ich hab mich gefragt, warum die ausgerechnet uns beide ausgesucht hatten. Ich meine, nach dem Reinfall auf dem Gletscher war ich völlig im Arsch. Man hätte mich nie vom Schiff runterlassen dürfen, geschweige denn hinter die feindlichen Linien. Ich war einfach nur geil darauf, die Arschlöcher zu killen. Und du... tja, dich mochte irgendwie keiner, Philosoph. Du hattest zu viele Ideen im Kopf, einschließlich deiner eigenen. Du warst der Philosoph, der zu viel las, der sich am Anarchismus aufgeilte und dem ganzen anderen Zeug. Die Lamettaträger hielten es durchaus für möglich, dass du zum Feind werden könntest. Verstehst du, Philosoph, wir waren von derselben Sorte – nicht korpsfähig, entbehrlich. Das war von vornherein als Himmelfahrtskommando gedacht, und so wäre die Sache auch ausgegangen, wenn ich nicht uns beiden die Haut gerettet hätte.«
    Die Stimme klang so, als sei sie vielleicht hundert Meter entfernt. Rund sechzig Zentimeter pro Schritt... Reeve fing an zu zählen, während er sich gleichzeitig wieder den Hang hinaufschlängelte und dabei konzentriert nach Hinweisen darauf horchte, welchen Weg Jay nahm. Aber vermutlich würde er einfach der Blutspur folgen.
    Reeve befand sich jetzt unmittelbar unterhalb des Grats. Plötzlich hörte er den Grunzlaut, mit dem Jay den Aufstieg begann. In wenigen Sekunden würde er den Grat erreichen, hinter dem, an die Bergflanke geschmiegt, Reeve lag. Reeve hielt jetzt den Atem an. Jay war ganz nah, keine zwei Meter von ihm entfernt.
    Reeve sammelte all seine Kräfte, schloss für einen Moment die Augen und tat schließlich einen tiefen Atemzug.
    »Hey, Philo…«
    Er holte mit dem unversehrten Arm aus und rammte den Dolch mit ganzer Kraft durch Jays Stiefel und in seinen Fuß. Während Jay oben aufschrie, riss ihm Reeve unten die Beine weg und schleuderte ihn den Hang hinunter. Jay konnte sehen, was ihn am Ende der Rutschpartie erwartete, und versuchte, Absätze, Ellbogen und Finger in den Boden zu graben, aber der Boden war glitschig, und er schlitterte mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Reeve schlitterte hinterher. Der Schwung, mit dem er Jay über den Grat befördert hatte, hatte ihn kopfüber mitgerissen. Er schlug einen Purzelbaum und knallte mit der verwundeten Schulter so fest auf, dass er fast das Bewusstsein verlor. Unter ihm suchte Jay, der schon drei Viertel der Rutschbahn zum Abgrund hinter sich gebracht hatte, immer noch mit fahrigen Händen vergeblich nach Halt. Reeve rollte geradewegs auf ihn zu. Sie würden gemeinsam in die Schlucht stürzen.
    Reeve stieß mit der Rechten zu, der Hand, die noch immer den Dolch hielt. Die Klinge bohrte sich in die Erde, schnitt sich dann aber einfach durch den Boden, ohne seine Abfahrt nennenswert zu verlangsamen. Er drehte die Klinge um neunzig Grad, so dass sie sich jetzt mit der flachen Seite durch die nasse Erde pflügte. Jetzt wirkte sie wie eine Bremse. Er kam mit einem Ruck zum Stillstand. Seine Beine hingen schon ins Leere. Er fand mit einem Knie die Kante und fing an, sich hochzustemmen, aber eine Hand krallte sich um seinen anderen Knöchel. Und jetzt ließ Jay die Felskante los und klammerte sich auch

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