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Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Titel: Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Meistens kamen sie ihm, wenn er Alkohol getrunken hatte. Aber er hatte praktisch keinen Alkohol getrunken, und trotzdem waren sie da.
    Mehr noch, er genoss sie, kostete die Möglichkeit des Schmerzes aus – bei anderen; vielleicht sogar bei sich selbst -, Empfindungen, die einen spüren ließen, dass man lebendig war. Er war wahrscheinlich nie so lebendig gewesen wie gegen Ende der Operation Stalwart, auf der Flucht, von nackter Angst zerfressen. Nie so lebendig wie damals, als er so gut wie tot gewesen war.
    Von der Wohnung aus rief er Joan an, um sie auf den Stand der Dinge zu bringen. Fliss Hornby räumte inzwischen den Flurschrank aus und legte die Sachen auf dem Fußboden aus, so dass man sie dann systematisch durchgehen konnte. Reeve beobachtete sie vom Wohnzimmer aus. Joan sagte, dass Allan seinen Dad vermisste. Sie erzählte ihm von möglichen Klienten, zwei Männern, die sich zu unterschiedlichen Zeiten nach den Kursen erkundigt hätten. Den nächsten Wochenendkurs hatte sie nach seiner Anweisung schon abgesagt.
    »Anrufe?«, fragte er.
    »Nein, die waren beide persönlich da.«
    »Ich meine, hat irgendjemand angerufen?«
    »Niemand, mit dem ich nicht klargekommen wäre.«
    »Okay.«
    »Du klingst angespannt.«
    Joan wusste noch nichts von dem, was er einer wildfremden Frau in allen Details erzählt hatte. »Na ja, weißt du, ich hab hier eine ganze Menge am Hals …«
    »Ich könnte ja runterkommen.«
    »Nein, bleib du bei Allan. Ich bin bald wieder da.«
    »Versprochen?«
    »Versprochen. Mach’s gut, Joan.«
    Als er in den Flur kam, war der Schrank schon halb leer.
    »Fangen Sie schon mal an, den Krempel da durchzuschauen«, sagte Fliss, »während ich den Rest rausräume.«
    »Klar«, sagte Reeve. Dann: »Sollten Sie nicht eigentlich bei der Arbeit sein?«
    Sie lächelte. »Vielleicht bin ich ja bei der Arbeit.«
    Eine Stunde später hatten sie den Inhalt des Schranks gesichtet und nichts von Belang gefunden. Fliss Hornby war lediglich einmal in Tränen ausgebrochen. Reeve hatte es für das Beste gehalten, sie einfach zu ignorieren. Außerdem war er ganz bei der Sache. Sie tranken einen Kräutertee und gingen dann ins Schlafzimmer. Irgendwann, Reeve wusste beim besten Willen nicht, wann, hatte Fliss das Zimmer aufgeräumt. Als er zum ersten Mal einen Blick hineingeworfen hatte, war das Bett mit Kleidungsstücken, der Fußboden mit Büchern und Illustrierten übersät gewesen. Jetzt war alles verschwunden.
    Sie zog zwei Koffer unter dem Bett hervor und legte den Ersten aufs Bett. Er war nicht abgeschlossen und enthielt nur Kleidungsstücke. Ein paar Sachen erkannte Reeve wieder: ein knallbunt gestreiftes Hemd, ein paar Schlipse, ein Rugby-Trikot der schottischen Nationalmannschaft, ausgeleiert, so wie alle Rugby-Trikots nach der ersten Wäsche. Der zweite Koffer war voll mit Papieren.
    Sie brauchten eine ganze Weile, um die Akten, Bündel von Zeitungsausschnitten, und eine altmodische Kartei durchzusehen. Dann fand Fliss ein halbes Dutzend Disketten und schwenkte sie vor Reeves Nase.
    »Vielleicht kann ich die Dateien öffnen.«
    Ihr PC stand im Wohnzimmer auf dem Schreibtisch. Reeve musterte die Bücherregale, während sie den Computer hochfuhr.
    »Sind das alles Ihre?«, fragte er.
    »Nein, größtenteils gehören sie Jim. Ich hab nicht viel aus meiner Wohnung mitgenommen – nur ein paar Sachen, die ich mir ungern klauen lassen würde.«
    Reeve sah auch einige philosophische Werke. Lächelnd zog er eines der Bücher heraus: David Humes Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral . Er blätterte es flüchtig durch und stieß auf eine Seite, auf der ein paar Zeilen angestrichen worden waren. Er wusste schon, was es war, trotzdem las er es:
     
    Ein Mensch, der an einem Abgrund steht, kann nicht ohne Zittern hinuntersehen .
     
    Während ein paar ihrer Begegnungen hatte er Jim mit Philosophie förmlich überschüttet. Er hatte Hume zitiert, genau diese Stelle, und sie mit Nietzsche verglichen: Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein . Melodramatischer als Hume, wahrscheinlich weniger sachlich – aber weit mitreißender. Jim hatte zugehört. Er hatte gelangweilt ausgesehen, aber trotzdem hatte er zugehört, und er hatte sich sogar ein paar von den Büchern gekauft. Mehr noch, er hatte sie gelesen.
    Fliss Hornby legte die erste Diskette ein. Sie enthielt Korrespondenz. Sie lasen ein paar Briefe durch.
    »Das ist ein komisches Gefühl«, sagte sie irgendwann.

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